„Das ist völlig sinnlos“, kommentierte Elke, als ihr Mann voller Freude eine über 4.000 Euro teure Champagnerflasche mit einem lauten Knall öffnete. Es war sein vierzigster Geburtstag und diese Wortwendung kannte er zu Genüge. So war der 911er beim dreißigsten Geburtstag sinnlos, die Rolex ebenso, geschweige denn sein Fahrrad im fünfstelligen Bereich. Erik ertrug es jedes Mal mit Fassung und fühlte sich dadurch auch bei seinem Ritual des ersten Schlucks nicht gestört. Diesmal waren drei befreundete Paare anwesend und er wirkte wie weggetreten, als er diesen Champagner kostete, summte dabei leise vor sich hin. „Sinnlos“, hörte er Elke mehrmals wiederholen. Als wieder halbwegs zu sich gekommen war, schenkte er auch den Gästen ein, wobei sich die Wirkung hier nicht so ausmachen ließ. Sehr rational wurde der Champagner bewertet, die Balance zwischen Säure, Frucht und Kohlensäure wäre beachtlich, die Farbe könnte ein wenig kräftiger sein. Erik spürte tief in ihm etwas, dass er bisher noch nie wahrgenommen hatte. Es war, als hätte dieser Champagner ein Geheimnis freigelegt, eine unbändige Kraft, ganz nach Freiheit dürstend. Ein paar Tage später waren Elke und er wieder bei der Paarberatung, die sie seit zwei Jahren in Anspruch nahmen. Elke meinte, die Fortschritte wären zu gering, Erik müsste sich mehr bemühen. Erik war sich plötzlich bewusst, dass Elke die Urlaube aussuchte, die Abendgestaltung vornahm, die Gästelisten erstellte, sein Geld für Kosmetik und Wellnessurlaube mit Freundinnen ausgab. Die obligatorische Abschlussfrage „Was schätzen Sie an ihrer Partnerin?“ machte Erik diesmal förmlich unrund. Wie oft wurde er belehrt, dass er seine Sätze doch bitte direkt an Elke richten sollte und nicht an alle anwesenden im Raum. Er spürte tief im Innersten dieses Prickeln des teuren Champagners, kraftvoll erhob er seine Stimme: „Da mag es in der Vergangenheit vieles gegeben haben, für das ich aufrichtig dankbar bin. Aber jetzt schätze ich nichts mehr an dieser Verbindung, weshalb ich sie auch beenden wäre. Elke, ich trenne mich von Dir!“ Die Paartherapeutin meinte, dass nach gewissen Sitzungen eine emotionale Aufwühlung zu unpassenden Aussagen führen könnte. Selbst Elke forderte Erik auf, sich sofort wieder zu setzen. Erik lächelte bei der Antwort: „Das ist völlig sinnlos“. Und dann verließ er den Raum. Er packte, all seine Sachen gingen in den (sinnlosen) 911er, seine (sinnlose) Rolex zeigte ihm, dass wenn er sofort losfuhr, am späten Abend in der Champagne sein würde. Als erstes packte er sein (sinnloses) Fahrrad aus dem Auto und machte sich auf den Weg. An der kleinen Champagnerkellerei angekommen, öffnete ihm die Eigentümerin dieser besonderen Champagnerflasche höchst persönlich. „Ich habe Dich erwartet“, waren ihre ersten Worte. Erik verstand nichts, Léa umso mehr. Aus Léas und Eriks Mund kam nie wieder das Wort „sinnlos“. Eine große Segelyacht, teure Champagner und verschiedene Oldtimer versüßten ihnen ab sofort das Leben. Als Erik eines Tages ein Buch bei Léa mit der Aufschrift „Magische Rituale“ entdeckte, wusste er, dass auch diesmal er nicht wirklich die Entscheidungen getroffen hatte. Für ihn war ab diesem Zeitpunkt klar, dass es kein Problem ist, wenn die Frau die Entscheidungen trifft, es kommt nur darauf an, dass es die richtige Frau ist. Léa war die Richtige…
Harald, 16. Juni 2023.
Sinnlos ist ja mein zweiter Vorname, daher muss ich natürlich einen Kommentar abgeben.
Im Grunde ist unser ganzes Leben sinnlos, wenn man mal einige Schritte zurück tritt und es aus der gebührenden Entfernung betrachtet. Denn am Ende des Lebens ist man genau dort, wo man vor der Geburt auch schon war, nämlich gar nirgends. Daher kommt es auf ein paar sinnlose Erlebnisse zwischendurch auch nicht mehr an. Im Gegenteil, das macht am Ende vielleicht den Unterschied. Und der richtige Partner ist natürlich sehr hilfreich dabei, die Zeit dazwischen gut zu überstehen.
P.S.: Es spricht natürlich nichts dagegen, auch mal ein paar sinnvolle Dinge zu tun. Nur so zur Abwechslung…
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Hallo, vielen Dank für deine Überlegungen. Wir gewinnen hoffentlich an Erfahrung, so gesehen vielleicht doch sinnvoll. Ich werde bei der nächsten Geschichte versuchen, etwas Sinnvolles zu schreiben… ob es gelingt, bleibt wieder einmal abzuwarten. Liebe Grüße!
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