Turnhose

Also meine kurze Turnhose, die ich vor zwei Jahrzehnten unter dieser Bezeichnung käuflich erwarb – und da waren es noch keine sportswear shorts –  hatte ich letztes Jahr im Frühjahr zum ersten Mal seit langem wieder angezogen und mich damit in den Garten begeben. Etwas Rasen trimmen, ein paar Sträucher zurechtstutzen und nach zehn Minuten war es mir auch wieder zu mühsam und ich legte mich auf meine Sonnenliege. Mit den Händen in der Seitentasche meiner Turnhose spürte ich einen Geldschein. Ich staunte auf einen zusammengefalteten  Hunderteuroschein. Schön, wenn ich im Alter etwas vergesslich war und so immer wieder unverhofft zu Geld kam bzw. sich mein Portemonnaie füllte. Nächsten Tag dehnte ich die Gartenarbeit auf eine Viertelstunde aus, übertrieb es aber nicht und lag wiederum auf der Liege. Hände in der Hosentasche und plötzlich war wieder dieser Hunderter in der Hose. Ich dachte mir nichts weiter dabei und ging nach zwei Stunden zurück ins Haus. Drinnen öffnete ich meine Brieftasche und gab den Hunderter nun endgültig hinein. Es kam mir am zweiten Tag nicht merkwürdig vor, dass dort bereits ein zusammengefalteter Hunderter war. Ein paar Tage später – wieder gleiche Turnhose – der nächste Hunderter und jetzt checkte sogar ich, dass ich es hier mit einem besonderen Zauber zu tun hatte. Tagtäglich war in meiner Turnhose ein zusammengefalteter Hunderter und da ich recht sparsam war, konnte ich ein Jahr später im Frühjahr auf mehr als 30.000 Euro Bargeld blicken. Meiner Gattin erzählte ich davon nichts. Interessanterweise schaute sie auch immer vor dem Waschen in jede Tasche und nie befand sich dort auch nur ein Geldschein. Vor ein paar Wochen stellte ich mir die Frage, was ich denn mit dem Geld machen sollte. Zuerst wollte ich etwas wagemutiger werden und ging ab sofort in meiner Turnhose ins Büro. Den langweiligen Job war ich nach wenigen Tagen los und meine Hose machte das Arbeitslosengeld obsolet, da sie mein Taschengeld aus unerfindlichen Gründen auf 300 Euro pro Tag erhöhte. Meine Frau forderte mich auf, wieder arbeiten zu gehen oder zumindest diese lächerliche kurze Hose endlich einmal auszuziehen. So ging auch diese Beziehung zu Ende, als sie die Frage „Die Turnhose oder ich“ gestellt und ich wahrheitsgemäß antwortet hatte. Die Turnhose ließ sich nicht lumpen und erhöhte auf 700 Euro pro Tag. Meine neue Freundin schien ihr nicht zu gefallen, Reduktion auf 400 Euro. Daher Freundin gewechselt, fast schon zu jung, aber nun wieder Anstieg auf 700 Euro pro Tag. Jede Entscheidung von mir schlug sich so am nächsten Tag sofort positiv oder negativ auf meine Turnhose nieder. Als ich einen alten Traum nach einem Haus am Meer wieder ausgrub, war ich am nächsten Tag perplex. Ganze 8.000 Euro stellte mir die Turnhose täglich zur Verfügung. Und da war es mir klar. Das Haus am Meer war ein alter Traum, den ich mit meiner ersten Liebe hatte. Ich recherchierte im Internet. Sie war wohl verstorben und als Geist ermöglichte sie mir ein Leben wie wir es uns einmal gemeinsam vorgestellt hatten. Zig Anrufe, E-Mails und Wochen später hatte ich sie ausfindig gemacht. Sie lebte in der Nähe von Hamburg. Der Flug war schnell gebucht und sie wirkte erstaunlich gelassen, als ich vor ihrer Tür stand. „Das Haus am Meer?“, fragte sie. Ich guckte sie ungläubig an: „Ja, das Haus am Meer“. Sie lächelte und holte aus ihrer Jeans Shorts zusammengefaltete Hunderter in rauer Menge. Wir leben nun glücklich an der Ostsee in einer Villa direkt am Wasser und wenn die Nachbarn meinen, bei uns ginge etwas nicht mit rechten Dingen zu, haben sie leider Recht. Welcher gute Geist dahinter steckt, können wir uns bis heute nicht erklären.

Harald, 17. Mai 2024.