Missing Link


Overbeck stieg in Salzburg am Hanuschplatz in eine Straßenbahn, ließ sich von dem Schienenfahrzeug über die Staatsbrücke befördern und erinnerte sich erst am Markartplatz daran, dass es in Salzburg gar keine Straßenbahnen mehr gab, was natürlich eine fatale und unbequeme Folge zeitigte, nämlich die, dass Over­beck plötzlich auf der Fahrbahn saß, nachdem seine Straßenbahngarnitur sich in Luft aufgelöst hatte. Ein Taxilenker, der Overbeck im letzten Augenblick gewahr­te und mit seinem Mercedes Diesel haarscharf passierte, ohne ihn zu touchieren, zeigte dem verdutzt auf der Straße Sitzenden einen Vogel.

Overbeck wischte die Kränkung mit einer Handwegung weg, stand auf und überlegte, ob er in einen Hubschrau­ber steigen und auf den Kapuzinerberg fliegen sollte, verwarf den Ge­danken aber, als ihm einfiel, welche Folgen es für ihn haben mochte, wenn ihm oben in der Luft in Bezug auf den Helikopter Ähnliches widerfuhr wie eben erst in der Stra­ßenbahn. Einen jähen Absturz aus großer Höhe hätte er wohl kaum überlebt.

Er beschloss, sich nach all dem Schrecken erst einmal zu belohnen. Da es aber stets sein Ziel war, das sogenannte Angenehme mit dem sogenannten Nützlichen zu verknüpfen, kaufte er sich in der nahen Rupertusbuchhandlung eine reich kom­mentierte Koranausgabe. Das Werk und die geheimnisvolle Wir­kung der Suren hatten Overbeck seit je her fasziniert; er baute darauf, in den Kommentaren Hin­weise darauf zu finden, wie man sich die Heiligen Verse per­sön­lich zunutze ma­chen konnte.

Insgeheim hoffte er auf einen Spruch, mit dem er handelsübliche Teppiche zum Fliegen bringen konnte, was seine dauernden Transportprobleme wohl endlich gelöst hätte. Er schlenderte durch den Mirabell­garten, suchte sich eine Parkbank in unmittelbarer Nähe des Brunnens und be­gann zu lesen.

Er blieb nicht lange ungestört. Nur für Overbeck sichtbar schälte sich von oben ein Dschinn aus dem Blätterwerk eines der Bäume und pflanzte sich vor dem Lesenden auf.

„Heilige Lektüre“, sagte der Dschinn und deutete auf den Koran. „Löbliche Lektüre für einen Ungläubigen und eine wunderschöne Ausgabe noch dazu. Soviel Engagement will belohnt sein! Hast du vielleicht einen Wunsch, den ich dir erfüllen kann?“

„Diese Stadt“, seufzte Overbeck, „hat ein Verkehrspro­blem.“

„Ich weiß“, sagte der Dschinn. „Und das Volk wollte es nicht im Sinne der Herrschenden gelöst wissen, die es befragt haben. Der sogenannte S-Link, den die Herrschenden wollten, hat sich in Luft aufgelöst und ist nun wieder ein Mis­sing Link.“

„Exakt“, bestätigte Overbeck. „Und ich will das Problem zumindest für mich lösen, indem ich in dem Heiligen Buch einen Spruch finde, der meinen Teppich zum Fliegen bringt. Kannst du mir dabei behilflich sein?“

„Das könnte ich freilich“, bestätigte der Dschinn. „Es wäre aber ungerecht, wenn ich es nur für dich täte.“

„Dann löse das Problem doch für alle!“, forderte Overbeck den Geist auf. „Falls du überhaupt ein so mächtiger Dschinn bist!“

„An meiner Macht soll es nicht scheitern!“, rief der Dschinn. „Sag mir einfach, was du dir vorstellst.“

„Pass auf“, erklärte Overbeck. „Wir beide, du und ich, gründen eine Gesellschaft mit beschränkter Bodenhaftung, die am Hauptbahnhof und in der Alpenstraße, dort wo die Verkehrswege aus dem Norden und dem Süden der Stadt enden, einen Teppichverleih betreibt. Jeder, der mit der S-Bahn dort ankommt, erhält von uns einen fliegenden Teppich zur Verfügung gestellt, mit dem er sein Ziel in der Stadt bequem erreichen kann.“

„Genial“, schwärmte der Dschinn. „So ma­chen wir es! Und wir nennen das Ganze nach den Teppichen T-Link.“

Overbeck und der Dschinn wurden sich über die Modalitäten rasch einig und verloren kei­ne Zeit. Binnen Monatsfrist statteten sie die Endbahnhöfe mit einer ausreichen­den Anzahl an Teppichen aus, die jedermann zur Verfügung standen. Die ange­botene Lösung wurde ein Riesenerfolg. Selbst hartnäckige Skeptiker stiegen er­staunlich schnell auf S-Bahnen und T-Link um und ließen ihre Verbrenner­fahrzeuge zu Hause in ihren Garagen stehen.

Die Herrschenden zierten sich am längsten. Neulich wurde aber der Landeshauptmann gesichtet, der nach seinem offenbar erquickenden Schönheitsschlaf auf seinem Kanapee im Chiemseehof sichtlich zufrieden auf einem Teppich nach Hause flog.

„Wenn der Landes­hauptmann mitmacht“, sagte Overbeck zum Dschinn, „dann haben wir gewonnen.“

Michael, 29. November 2024

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