Dachbodenterroristin

Manuel war ein ruhiger und umgänglicher Mensch. Einer, der selbst Spinnen meist höflich bat, doch bitte den Wohnbereich wieder zu verlassen. Aber wie es so schön heißt: Der friedlichste Mensch kann nicht in Frieden leben, wenn es einer Maus am Dachboden nicht gefällt.

Niemand wusste, wie dieser haarige Untermieter den Weg hinauf gefunden hatte – ob sie ein Connaisseur war oder einfach bei einem ihrer Wanderurlaube falsch abgebogen war, blieb unklar. Fest stand: Sie war da. Und sie hatte wohl vor zu bleiben.

Manuel begegnete ihr eines Abends, als er oben nach dem Rechten sah, nach dem er ein ungewohntes Geräusch vernahm. Sie stellte sich kurz auf die Hinterbeine, musterte ihn mit dem Blick eines altgedienten Dachbodenveteranen, zuckte dann mit dem Schwanz und verschwand wie ein geölter Blitz hinter den dort liegenden Bretter. Manuel, von heroischem Jagdgeist erfasst, wollte hinterher – blieb allerdings an einem Antennenkabel hängen, überschlug sich wie ein olympischer Geräteturner mit Orientierungsschwäche und landete unsanft auf dem Boden. Minuten später klopfte ein besorgter Nachbar: „Alles okay bei Ihnen da oben oder proben Sie am Dachboden für die Dancing Stars?“

Zunächst probierte Manuel es mit Käse und einer Lebendfalle. Dann mit tödlichen Fallen – Manuel verlor seinen Pazifismus relativ früh – verführerisch garniert mit Nüssen, Mais und Hafer – fast hätte er dazu Tischdeko gebastelt. Die Maus? Nahm es als Einladung zum All-you-can-eat-Buffet, wich aber dem Mechanismus gekonnt aus.

In der Nacht zum völligen Nervenzusammenbruch knallte Manuel mit einer Schrotflinte in Richtung eines vermeintlichen Mausenschattens. Herzrasen, Adrenalin, ein getroffenes SAT-Kabel –  die Maus lebte, das Fernsehbild nicht mehr.

Am nächsten Morgen war Schluss. Der Immobilienmakler, ein gut frisierter Mann mit dem charmanten Lächeln eines Versicherungsvertreters in der Midlife-Crisis, verkaufte Manuels Haus innerhalb von zwei Tagen. Der Preis war fast so niedrig wie Manuels Geduldsfaden – aber dafür war er endlich mausfrei. Zumindest dachte er das.

Denn kaum war er in seiner neuen Wohnung eingezogen, kam es beim Smalltalk im Treppenhaus zu einer Erleuchtung: Die Nachbarin, freundlich und mit demselben leichten Zucken im linken Augenlid, das auch Manuel entwickelt hatte, offenbarte ihm: „Ich hab mein Haus wegen einer Maus verkauft. Eine richtige Dachbodenterroristin.“

Neugierig begann Manuel zu recherchieren. Drei weitere Fälle tauchten auf – alle im Umkreis, alle mit einer Maus, alle mit demselben Makler.

Manuel konfrontierte ihn. Der Makler zuckte mit den Schultern, als wolle er sagen: „Sie kennen mich doch – ich verkaufe Emotionen, keine Immobilien!“ Dann murmelte er etwas von „natürlichem Lebensraum“ und „eine Maus ist doch kein Mangel“.

Doch Manuel hatte mittlerweile Verbündete – die Mäusegeschädigten. Gemeinsam planten sie eine Rache, subtil, raffiniert und mit dem Humor ehemaliger Nagetiergeplagter. Eine Woche später erhielt der Makler eine exklusive Einladung zum „Premium-Immobilien-Brunch“ im frisch renovierten Dachgeschoss eines vermeintlich leerstehenden Hauses.

Er erschien in Anzug und Glanzschuhen. Die Tür fiel hinter ihm zu. Zwei Dutzend Mäuse warteten bereits. Inklusive der einen – mit einem winzigen, selbstgebauten Thron aus Mausefallen. Was genau geschah, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Gerüchten zufolge lebt der Makler nun aber auf einem Hausboot in der Mitte eines Sees im Norden Salzburgs ohne Dachboden. Und Manuel? Der lebt heute wieder friedlich in einer Wohnung im zweiten Stock. Kein Dachboden. Kein Makler. Keine Maus. Nur ab und zu hört er es trotzdem rascheln. Aber diesmal hat er Käse, Wein und die Nachbarin.

Harald, 13. Juni 2025.

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