Gasselsberger

Gasselsberger, der sich selbst für einen ganz smarten Hecht hielt, für das tollste Exemplar unter all den anderen tollen Hechten, rannte in mintgrünen Sportschu­hen, in schwarzer Trainingshose und im weißen Feinripp-Unterhemd im Nach­kriegs­style durch den Wald. Während er lief, dachte er nach, weil er ohnehin un­ent­wegt nachdachte, über neue Marketingstrategien, die das Produkt pushen soll­ten, das seine Firma unters Volk brachte, d.h. genaugenommen gehörte ihm die Firma gar nicht, weil sie den Aktionären gehörte, was Gasselsberger aber kei­neswegs scherte, weil er der Meinung war, dass ohne seine Marketingstrategien in der Firma tote Hose geherrscht hätte, dass die Firma ohne seine Marketing­stra­te­gien längst vom Markt verschwunden wäre, dass sich aber, weil er unent­wegt nachdachte, das Produkt blendend verkaufte, ein Produkt, das eigentlich kein reales Produkt war, sondern vielmehr eine Idee, die darin bestand, dass die Kon­sumenten dafür zahlten, dass Gasselsberger sich selbst in der verschiedens­ten Lebenslagen in Wort und Bild bewarb und selbst darstellte, unermüdlich; auf allen gängigen Werbekanälen wurden pausenlos Spots von und Interviews mit Gas­selsberger gesendet, und während er durch den Wald lief und nachdachte, fiel ihm ein, dass auch ein Spot, in dem er in mintgrünen Sportschuhen, in schwarzer Trainingshose und im weißen Feinripp-Unterhemd durch den Wald lief und da­bei nachdachte, perfekt geeignet war, um ihn, Gasselsberger weiter zu pushen und zu hypen und zu posten und zu celebraten, und er zog sein Handy aus der Ge­säßtasche seiner Trainingshose, um keine Zeit zu verlieren und auf der Stelle ein Kamerateam in den Wald zu beordern, das ihn beim Laufen und Denken film­te, doch just in diesem Augenblick wurde ihm die Kombination aus Laufen, Den­ken und Telefonieren zu viel, und er übersah den Ast einer Krüppelbirke, der keck quer über den Weg ragte, was zur Folge hatte, dass Gasselsberger, der mit seiner Stirn frontal gegen das hölzerne Biest krachte, aus seinen Sportschuhen kippte und das Bewusstsein verlor.

Als er wieder erwachte, fand er sich auf dem Boden liegend, und als er aufblickte, sah er sich umringt von lauter Hunden, die jagdlich gekleidet waren und allesamt ihre Büchsen akkurat geschultert trugen.

„Wo bin ich?“, fragte Gasselsberger und zählte in seiner Verwirrung die Gams­bärte an den Hüten der Hunde. Er kam auf ein Dutzend.

„Du bist in eine Jagd geraten, Gasselsberger“, sagte der Oberhund, als ob es die normalste Sache der Welt sei, dass Hunde sprechen. „Das ist nicht ungefährlich. Zum Glück sind wir schon fertig und haben alle unsere Abschlüsse getätigt.“

„Aber ihr seid Hunde!“, rief Gasselsberger entgeistert und setzte sich auf. „Hunde jagen nicht mit Büch­sen und Flinten! Hunde apportieren höchstens die geschossene Beute!“

„Das Ap­portieren erledigen unsere Menschen!“, erklärte der Oberhund. „Sie sind ge­rade in den Sümpfen unterwegs, um die von uns geschossenen Wildenten auf­zunehmen und hierher zu uns zur Strecke zu bringen. Sie werden gleich zurück sein.“

Gasselsberger schaffte es mühsam aufzustehen.

„Das ist alles vollkommen unmöglich. Menschliche Jäger schießen das Wild und die Hunde apportieren, nicht umgekehrt!“

„Das klingt drollig!“, lachte der Oberhund.“Aber du irrst dich, Gasselsberger! Schau, da kommen unsere Menschen mit den Enten!“

Gas­sels­ber­ger sah, wie auf allen Vieren eine Meute nackter männlichen Menschen heran­preschte, jeweils mit einer toten Wildente im Mund zwischen den Zähnen. Sie leg­ten die Beutevögel artig vor ihren hündischen Besitzern ab und nahmen wei­terhin auf allen Vieren eine unterwürfige Haltung ein und freuten sich über ihre Belohnung, die ihnen die Hunde in Form von kleinen Menschenkuchen in ihre Münder steckten.

„Sie sehen aus wie du“, sagte der Oberhund. „Verstehst du jetzt, warum es gefährlich ist, wenn du uns mitten durch die Jagd läufst, Gasselsber­ger?“

In diesem Augenblick wurde es Gasselsberger bewusst, dass der Oberhund ihn mittlerweile zum dritten Mal mit seinem Namen angesprochen hatte.

„Woher zum Teufel wisst ihr eigentlich, wer ich bin?“, fragte er in die Runde der Hunde.

„Dich kennt jeder! Wir lieben Social Media und Video Streaming, aber auch Pla­ka­te und Printmedien“, erklärte ein Unterhund. „Du bist dort in der Werbung om­nipräsent, was uns total nervt. Das Produkt, das du bewirbst, ist nämlich kom­p­letter Schrott. Es geht dir ausschließlich um dich selbst. Du bist ein Mensch! Keiner unserer Menschen würde jemals auf die Idee kommen, Werbung für sich zu machen. Ein Mensch, der Vögel apportieren soll, hat in der Werbung nichts verloren!“

„Wo soll ich denn bloß jetzt hin?“, murmelte Gasselsberger, der die Welt überhaupt nicht mehr verstand, in einem Anflug völliger Hoffnungslosig­keit. „Was soll ich jetzt tun?“

„Das ist einfach!“, erklärte der Oberhund strahlend. „Leg die albernen mintgrünen Sportschuhe und die peinliche Trainingshose und das lächerliche Feinripp-Unterhemd für immer ab und gesell dich zu den anderen Men­schen. Wir haben zwar im Prinzip genug Menschen für die nächste Jagd, aber ein Ersatzmensch kommt uns doch sehr zupaß.“

In diesem Moment hatte Gassels­ber­ger in all seiner tiefen Verzweiflung einen Geistesblitz, dem er sofort eine an­ge­messene Tat folgen ließ. Er begann im Kreis zu laufen und beschleunigte, bis er das nötige Tempo erreicht hatte. Mit gesenktem Kopf donnerte er mit voller Wucht ein zweites Mal mit der Stirn gegen den Ast der Krüppelbirke und verlor wie erhofft zum zweiten Mal das Bewusstsein.

Als er mit glasigen Augen wieder­um erwachte, sah er über sich ein Rudel Pinguine, die sich über ihn beugten.

„Ach, du grüne Neune, nicht schon wieder!“, seufzte Gasselsberger. „Was mache ich jetzt, wenn die Pin­guine Wildenten ins Moor schicken, um die dort ge­schos­senen Hunde zu ap­portieren?“

Ehe er sich darüber weiter den Kopf zerbrechen konn­te, klärte sich un­versehens sein Blick und er sah, dass über ihm keine Pin­guine waren, sondern dass es sich um eine Gruppe von Nonnen handelte, die ihn interessiert betrachte­ten.

„Du siehst aus“, sagte die Obernonne schließlich, „als ob du dringend eine Aus­zeit gebrauchen könntest. Wir können dich gern für eine Weile in unserem Kloster aufnehmen.“

Aus lauter Dankbarkeit und Erleichterung brachen in Gas­sels­berger alle Dämme und er schluchzte und nickte und nickte und schluchzte mi­nutenlang.

Das Kloster der Nonnen entpuppte sich als ein Schwei­gekloster, in dem Gasselsberger keine Möglichkeit mehr fand, sich in ir­gend­einer Form in der Außenwelt selbst zu bewerben. Er fügte sich von Beginn an gut in die klösterliche Gemeinschaft ein, hielt sich an das Schweigegelübde und übernahm nach und nach alle Hausmeistertätigkeiten und blieb bis an sein Lebensende eine verläss­li­che Arbeitskraft, der jegliche Eitelkeit fremd war.

Michael, 17. Oktober 2025

Ein Kommentar zu „Gasselsberger

Hinterlasse einen Kommentar