Irgendwann stieß der alternde Filmstar Dougal Micklas im Rahmen einschlägiger Nachforschungen in der Reihe seiner Vorfahren zufällig auf einen Mann, der mehr als zweihundert Jahre zuvor in Österreich gelebt hatte und aus dem im Südosten Wiens gelegenen Bezirk Simmering stammte. Micklas, der mit dem auf diese Weise entdeckten Ort nichts verband, flog persönlich hin, aus Neugier, und war bei seinem Eintreffen maßlos darüber erstaunt, auf welch glanzloses Stückchen Erde es ihn verschlagen hatte, dessen Bewohner, die nominell zum deutschen Sprachraum zu gehören schienen, in einem Dialekt miteinander kommunizierten, der sich jeder auch bloß angedachten Deutung widersetzte.
Damit die begonnene Reise nicht zu einer Aneinanderreihung leerer, sinnloser Kilometer geriet, die nicht für die Aufnahme in eine noch zu erstellende Spesenabrechnung taugten, beschloss der Schauspieler und Regisseur spontan, einen Spielfilm in Simmering zu drehen, der der eigenwilligen Sprödigkeit des Ortes und seiner Bewohner ein Denkmal setzen sollte. Eben dieser Spontaneität geschuldet kam nur eine Low Budget Produktion in Frage, die den gegebenen Umständen entsprechend Rechnung trug.
In einem Lokal am Münnichplatz schrieb Micklas hastig ein Drehbuch herunter und lernte in dem Etablissement einen Einheimischen kennen, einen gewissen Schani Doderhofer, der neben dem Simmeringer Dialekt auch so passabel Englisch sprach, dass Micklas sich mit ihm verständigen konnte.
Der Streifen, den der Hollywoodstar plante, sollte die Reihe weltbekannter, früherer Abenteuerfilme wie „Die Jagd nach dem grünen Diamanten“ und „Die Jagd nach dem Juwel vom Nil“ nahtlos fortsetzen und den Titel „Die Jagd nach dem Goldbarren von Simmering“ tragen. Schani Doderhofer, der sich durchaus filmaffin gerierte, sollte als Dougal Micklas‘ rechte Hand als Schnittstelle zwischen dem Internationalen und dem Lokalen fungieren. Doderhofers vordringlichste Aufgabe war das Casting von einheimischen Laiendarstellern, auf deren Mitwirkung das Konzept des Films fusste. Gedreht werden sollte in Simmeringer Originalsprache mit deutschen Untertiteln.
An Interessenten mangelte es fürwahr nicht. Micklas hatte Schani Doderhofer angewiesen, niemanden abzulehnen, damit auch für eventuelle Massenszenen genug Personal zur Verfügung stünde. Schließlich engagierte Dougal Micklas‘ rechte Hand so viele Mitwirkende, dass der ganze Film als eine einzige Abfolge von Massenszenen angelegt werden musste, was Micklas auch insofern entgegenkam, als er sich keine Mühe mehr mit dem Drehbuch geben musste und den ganzen Film kurzerhand auf den Zentralfriedhof verlegte. Im Grunde ging es nur noch darum, dass ein ehrlicher Mann einen Goldbarren auf dem Friedhof in einem Grab oder in einer Gruft versteckte, um ihn vor einer Horde von bösen Jägern zu verbergen, die das Gold zu Geld machen wollten, um sich damit Bordellbesuche und die Dienste von Escort Services leisten zu können.
Als genug Darsteller verpflichtet waren, setzte Dougal Micklas den ersten Drehtag auf dem Friedhofsareal an und stellte sich selbst hinter die Kamera. Die Schauspieler, die Micklas‘ Anweisungen nicht verstanden, hielten sich nicht ans Drehbuch und agierten aus dem Stehgreif. Begleitet von wilden Handgreiflichkeiten und derben Flüchen im Simmeringer Originalton jagten sie einander gegenseitig immer wieder den Goldbarren ab (bei dem es sich um eine erbärmlich gestaltete Attrappe handelte) und versteckten ihn danach erneut. Schani Doderhofer kümmerte sich um den Ton und um die Entschädigung aufgebrachter Friedhofsbesucher, die sich durch das wilde Treiben in ihrem Totengedenken massiv gestört fühlten.
Nach etwa vier Stunden signalisierte Dougal Micklas, dass er nun genug Material für seinen Streifen beisammen hätte und dass kein weiterer Drehtag vonnöten sei. Anstelle einer Gage in Geldform lud Doderhofer im Auftrag des Hollywoodstars alle Mitwirkenden auf ein Bier ins Friedhofgasthaus ein.
Schon am nächsten Morgen flog Dougal Micklas mit seinem Privatjet heim nach Amerika. Während er den Atlantik überquerte, besorgte er eigenhändig den Schnitt für „Die Jagd nach dem Goldbarren von Simmering“. Von den großen Filmverleihen, die Micklas nach seiner Rückkehr kontaktierte, wollte keiner anbeißen. Als der Regisseur schließlich einen kleinen Verleih verpflichten wollte, der ihm noch einen Gefallen schuldete, sprang auch diese Gesellschaft letztlich wieder ab, da sich der Simmeringer Dialekt als unübersetzbar erwies.
Micklas schickte am Ende entnervt die einzige Kopie seines Machwerks per Post an Schani Doderhofer, der den Film dem Bezirksmuseum Simmering spendete, in dem er seither bloß alle heiligen Zeiten einmal vorgeführt wird.
Den letzten Gefallen, um den Dougal Micklas Schani Doderhofer bat, erfüllte dieser sehr gewissenhaft. Er stellte sich auf dem Zentralfriedhof breitbeinig vor das Grab von Dougal Micklas‘ Vorfahren, der ihnen alles eingebrockt hatte, und spuckte genüsslich auf das trockene Erdreich innerhalb der Einfriedung.
Michael, 7. November 2025
Bewohner, die nominell zum deutschen Sprachraum zu gehören schienen, herrlich, solche Menschen gibt es hier bei uns auch.
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