Single. Mai. Bock. War er mit 53 Jahren zu alt für die gestrige Ü-30-Party? Nach strenger Wortinterpretation wohl nicht. Sollte er wirklich gestern eine 29-jährige geküsst haben? Sozusagen eine Illegale, zumindest was die Teilnahme an dieser Party betrifft. Jetzt war es jedenfalls zu spät. Er hatte die Telefonnummer wieder vergessen, wobei er doch noch geprahlt hatte, wie stark sein Gedächtnis wäre. Aber das Gesicht und ihr gesamtes Erscheinungsbild, ja das hatte er sich gemerkt. Trotz des Konsums von vier Maibock-Bieren einer sehr feinen Innviertler Brauerei und das schon vor der Party. Die Erdbeer-Bowle ließ er zu Beginn der Party auch nicht aus und dann folgten weitere Biere, was zu dem nun vorliegenden Ergebnis führte. Er versuchte es, 0676 64, nein 0664 67, nein, nein, es war zwecklos. Er bereite sich ein Frühstück zu, Spiegelei mit Speck und dazu Orangensaft. Das Kopfweh hielt sich doch in Grenzen, Veronika, ja Veronika war ihr Name. Der Rest wollte ihm einfach nicht einfallen, was könnte da wohl helfen? Irgendwelche Pillen, Meditation, alles nicht erfolgsversprechend. Er durchblätterte die Post. Da sah er es. Heute Abend um 18.00 Uhr war in einer kleinen Kapelle eine Marienandacht. Wer wenn nicht die Gottesmutter würde ihm die Telefonnummer wieder ins Gedächtnis rufen. Den restlichen Tag verbrachte er wohlgemut mit der Gewissheit, abends bereits im Besitz der besagten Nummer zu sein. Nachmittags fuhr er trotz einer leichten Abgeschlagenheit noch eine Runde mit dem Fahrrad. Es war bereits 17.17 und er zählte von nun an die Minuten, um 17.40 machte er sich auf dem Weg, ab 17.55 zählte er bereits die Sekunden. Er sah einige Besucher und schloss immer wieder die Augen in dem festen Glauben, dass ihn die Nummer nun bekanntgegeben wird. Die Maiandacht begann, es konnte dem Ganzen durchaus etwas abgewinnen. Das Abbild der Gottesmutter fixierte er noch vehementer, ihr musste doch nun klar sein, dass es um viel geht. Um 18.20 hatte er erste Zweifel, die Andacht neigte sich bereits dem Ende zu. Als um 18.35 der Pfarrer den Segen gab, würdigte er die Gottesmutter bereits eines zornigen Blickes. Vergeblich, sie schien sich nicht zu fürchten. Mit gesenktem Haupt verließ er die Maiandacht, die überschaubare Besucheranzahl verließ die Kapelle. Er wollte gerade rechts auf den Weg abbiegen, da sah er sie. Veronika, eindeutig es war Veronika. Er bekreuzigte sich und dankte der Gottesmutter von ganzem Herzen. Sie hatte ihm nicht nur die Telefonnummer geliefert, sondern gleich das entzückende Wesen dazu. Was für eine Wohltat! Er nahm von hinten ihre Hand, drehte sie zu sich und küsste sie sofort. Wie sie küsste, unverkennbar. Glücklich sah er sie an, sie lächelte zurück. Er küsste sie nochmals. Sie fragte ihn, ob er denn sie vielleicht zu einem Kaffee einladen möchte oder ob Küssen nun die neue Masche sei. Er antwortete: „Gerne Veronika. Es war so schön gestern auf der Party“. Sie schaute ihn irritiert an und meinte, dass sie Gabi sei und gestern sei sie definitiv nicht auf einer Party gewesen. Dann lächelte sie trotzdem. Da schoss er wohl einen. Bock. Mai. Unerwartete Liebe. Trotzdem.
Harald, 25. Mai 2019