Sie saßen zu fünft um das Lagerfeuer. Zwei Fische hatten sie tagsüber gefangen, die nun über den lodernden Flammen gegrillt wurden. Vier Bierflaschen mit 0,75 Liter wurden im angrenzenden See gekühlt. Die Segelboote am See wogen sich in den leichten Wellen hin und her und erzeugten ein vergnügliches Quietschen. Die Playlist passte zum angehenden Sommer, das Abendrot machte die Szenerie perfekt. Die aus Maisstärke hergestellten Becher wurden wieder mit Bier gefüllt, die Stimmung bestens. Die Kombination aus zwei Männern und drei Frauen barg aber doch eine Gefahr. Veronika hatte seit einiger Zeit ein Auge auf Markus geworfen, der aber mit der rechts neben ihm sitzenden Leonie seit sieben Jahren fix liiert war. Markus gefiel die lockere Art von Veronika, ihr Lächeln war bezaubernd, er konnte darin die Wildnis, den Mut und das Lebendige gleichzeitig erkennen. Mit Leonie hatte er ein mittelgroßes Grundstück gekauft und ein Einfamilienhaus errichtet. Er war mit seiner Situation zufrieden, eigenes Haus und einen Job, der mehr als genug einbrachte. Kinder stellten sich keine ein, Markus war darüber aber auch nicht unglücklich. Selbstverständlich drängten deren Eltern schon auf Nachwuchs, schließlich sollte deren Pensionsglück auch im Hüten der Enkel die Erfüllung finden. Markus Pensionsvorsorge nahm selbst einen äußerst positiven Verlauf. Alles war bestens, konnte da etwas fehlen? War es gar dieses Lächeln, das alles versprach, aber auch das Unstete, die Unsicherheit beinhaltete? In den Funken über dem Feuer und im Rauch wirkte Veronika heute fast fremd, von einer anderen Welt. Eine Welt, die Markus nicht (mehr) kannte. Es erinnerte ihn an die Unbeschwertheit seiner Kindheit. Lagerfeuer, Übernachten im Zelt, Gelsen, der erste Kuss vom Nachbarsmädchen, das um drei Jahre älter war als er. Träume und große Ziele, Kreativität in Hülle und Fülle, aus drei Hölzern wurden im kleinen Bach Ozeandampfer, die über den Atlantik brausten. Die Ausgeburt seiner heutigen Kreativität bestand in einem gekauften T-Shirt, das normalerweise zehn Jahre jüngere Typen trugen. Damals wollten alle schnell erwachsen sein, heute hatte er den Wunsch, jünger zu wirken oder doch nur er selbst sein. Er musste jetzt an das Haus denken, das sie gemeinsam mit viel Mühe erbaut und eingerichtet hätten. Moderne Küche, großzügiges Bad und feinste Materialien machten es zum Traumobjekt für viele. Was sah er nun plötzlich in den Flammen des Feuers am See? Vermutlich hatte er bereits zu viel Bier getrunken. Nein, er sah noch keine weißen Mäuse, wie sie schwere Alkoholiker auch heute noch sehen, das schien seit Jahrzehnten so zu sein. Er sah eigentlich gar nichts, er fühlte nur. Und es fühlte sich richtig an, zumindest dieser Moment. Aber wenn dieser Moment richtig ist, kann das Einfamilienhaus es dann auch sein? Langsam spürte er den Widerstand in sich hochkommen. Muss er die Sicherheit gefährden, um sie völlig durchgebeutelt auf Knien wieder zu suchen? Die Sicherheit hatte einen hohen Preis, die Langeweile und Routine machte ihn kalt, das monatliche Treffen mit den Freunden und die kleinen Ausflüge konnten das nicht vergessen machen. Das endliche Leben hatte für ihn die Unendlichkeit erreicht, im ewig Wiederholen des Bekannten. Veronikas Haare im Wind versprachen die Abwechslung, den Moment, keine Ewigkeit. Das buddhistische Prinzip des Nichtnachgebens der einzelnen Gefühlsregungen war doch auch richtig, er las davon. Nur so gelingt Leben. Von jeder Regel musste es Ausnahmen geben. Kurzes Glück für ein paar Monate, Wochen und gar nur Stunden und dann doch das ewige Bereuen würde doch nicht besser sein als seine jetzige Situation. Wieder Widerstand, gegen Gefühle, gegen Strohfeuer, gegen das Unbekannte, gegen die Gefahr. Veronika lächelte ihn kurz an, sie schien ihn zu verstehen. Er zwinkerte ihr zu. Plötzlich sprang Leonie hoch und schrie Veronika an, was das sollte. Ihr wäre schon länger aufgefallen, dass sie mit Markus flirtete. Markus versuchte Leonie sofort zu beruhigen, ihm war das Ganze extrem peinlich. Leonie dachte gar nicht daran und meinte, dass Veronika einen promiskuitiven Lebensstil pflege und nun auch bei Markus nicht halt mache. Sie nahm Markus Hand und zog ihn vom Lagerfeuer weg. Markus stand auf und ging mit Leonie, ohne sich von den Freunden zu verabschieden, mit. Wieder hatte er nicht den Mut aufgebracht, wieder war er auf den Weg zum gemeinsamen Heim.
Nach fünfzehn Metern blieb er stehen, lies Leonies Hand los, schaute ihr kurz in die Augen und drehte um. Veronika und die anderen sagten nichts, es herrschte Stille, nur das Knistern des Feuers. Er schaute Veronika an, nahm schweigend ihre Hand und ging zum See. Das zufällig dort befindliche Ruderboot schob er in Richtung Wasser, beide bestiegen das Boot und er ruderte Richtung Abendrot, nicht wissend was die nächste Zeit bringen würde, seit langem wieder ganz glücklich, für diesen Moment.
Harald, 22. Juni 2019