Die Bierjungfrau

Hein Eggen, ein betuchter Brauereibesitzer aus der Provinz Friesland, fuhr eines Tages mit seiner hochseetauglichen Yacht von Marseille aus hinaus aufs Mittel­meer, um dort nach dem begehrten Thunfisch zu jagen. Als das Schiff weit genug draußen war, wartete Eggen den Einbruch der Dunkelheit ab, ließ dann alle Lich­ter löschen und das verbotene Schleppnetz auswerfen, das bei der Jagd nach dem schlauen Thunfisch die höchste Erfolgsquote versprach. Im Morgengrauen gab das automatische Meldesystem tatsächlich einen durchdringenden Ton von sich, der anzeigte, dass ein größerer Fang geglückt war. Eggen, der wie der Rest seiner Mannschaft sofort hellwach war, ließ das Netz einholen. Sein Herz lachte, als er feststellte, dass sie einen Roten Thun von etwa 200 Kilo Körpergewicht gefangen hatten. Eggens Männer wollten den unvermeidlichen Beifang gerade wieder ins Meer kippen, als ihnen inmitten all der ramponierten und teilweise zerstückelten Fische, Muscheln und Quallen ein seltsames Lebewesen auffiel, das zum Glück unversehrt geblieben war. Eggen leuchtete mit seiner Taschenlampe hin und er­kannte, dass es sich zweifellos um eine Meerjungfrau handelte, die vom Kopf bis zur Taille eine liebreizende menschliche Gestalt aufwies und darunter mit dem für Meerjungfrauen obligaten Fischschwanz ausgestattet war. Auf Eggens Wink hin packten die Männer das wundersame Wesen und setzten es in seinen priva­ten Whirlpool ein, der sich an einer kaum einsehbaren Stelle auf dem Vorderdeck befand. Eggen befahl seinen Leuten nun die endgültige Entsorgung des Beifangs und die Tötung und Portionierung des erbeuteten Thuns. Er selbst schlüpfte eilends in seinen Bademantel und begab sich zu seinem Whirlpool, um dort ex­klusiv seine aufregendste Beute in Augenschein zu nehmen. Die Meerjungfrau, die es sich auf der im Pool rundherum laufenden Sitzausbuchtung bequem ge­macht hatte, schien ihn bereits zu erwarten. Hein Eggen streifte vor einem gro­ßen Standspiegel seinen Bademantel ab, begutachtete prüfend seine Männlich­keit und stieg in den Pool. Er nahm neben der Meerjungfrau Platz, stellte sich ihr vor und fragte sie nach ihrem Namen. Sie heiße Virginelle, erwiderte die Meer­jungfrau, und ihre Freude darüber, dass sie früh am Morgen zusammen mit einem nackten, ihr unbekannten Mann gefangen in einem Whirlpool sitzen müs­se, hielte sich in sehr engen Grenzen. Dem wolle er gleich abhelfen, dröhnte Eg­gen und drückte einen Knopf an der Steuerungskonsole des Whirlpools. Sie werde ihn gleich besser kennenlernen. Wenige Augenblicke später erschien ein Die­ner mit einem Tablett, auf dem sich eine Auswahl der in Eggens Brauerei herge­stellten Biere nebst Gläsern befand. Eggen wählte eine der Flaschen aus, öffnete sie und füllte den Inhalt in zwei Biertulpen, von denen er eine an Virginelle wei­terreichte. Die Meerjungfrau kostete aus Höflichkeit das ihr unbekannte Lager­bier, das ihr wider Erwarten ausgezeichnet schmeckte. Sie leerte ihr Glas schnel­ler als Eggen selbst und bat ihn sogleich um Nachschub. Eggen öffnete erfreut eine Flasche einer anderen Sorte und schenkte nach. Auch dieses Bier lobte Vir­ginelle in den höchsten Tönen. So ging es eine Zeitlang weiter, bis sie insgesamt sieben verschiedene Biere getrunken hatten. Eggen, der in dem zweifelhaften Ruf stand, schon auf allen sieben Kontinenten junge Frauen gefügig gemacht und se­xuell ausgenutzt zu haben, sagte dann mit schwerer werdender Zunge zu Virgi­nelle, dass sie ihm als Gegenleistung für alle seine köstlichen Biersorten nun einen Gefallen schulde und dass er sie, da sie ja jetzt seine Bierjungfrau sei, gern entjungfern würde, was aber wohl nur unter Schmerzen möglich sei, weil ihr Un­terleib ja aus diesem Fischschwanz bestünde. Unter normalen Umständen, ent­gegnete Virginelle, hätte sie sich nie mit ihm, Hein Eggen, eingelassen, weil sie aber seine Gefangene sei, verrate sie ihm, dass es einen Zauber gäbe, mit dem sie ihren Fischschwanz in einen Menschenunterleib verwandeln könne. Sie wolle den Zauber, dessen Anwendung im übrigen durchaus gefährlich sei, weil sie schon so viel Alkohol konsumiert hätte, aber gern an sich anwenden, wenn Eggen sie frei­ließe, nachdem er bekommen hätte, was er wollte. Eggen, der vor lauter Erregung bereits zitterte und Speichel absonderte, forderte sie auf, den Zauber sofort aus­zuführen. Sie benötige dazu noch zwei Hilfsmittel, sagte Virginelle, eine Dose Ka­viar und ein Kondom. Eggen drückte sofort wieder den Knopf an der Konsole und ließ den Diener das Gewünschte herbeischaffen. Die Meerjungfrau rollte das Kondom ab und füllte es mit dem Kaviar. Danach schwang sie es ein paar Mal über ihrem Kopf und stieß dazu stöhnende, orgiastische Laute aus, die in einem Höhepunkt kulminierten, an dem ein greller Blitz Eggen die Sicht raubte. Als er die Augen wieder öffnete, sah er dass Virginelle nun tatsächlich mit einem menschlichen Unterleib ausgestattet war, der sich perfekt an die Herrlichkeit des übrigen Körpers anfügte. Als Eggen sich an Virginelles Anblick weidete, zog er auf einmal ein wenig seine Nase hoch und nahm dabei einen grässlichen Gestank wahr. Er bewegte seine Nase ein klein wenig nach links und danach ein wenig nach rechts und gewahrte auf beiden Seiten den selben höllischen Gestank, der ihm fast die Sinne raubte. In Panik begann er überall an seinem Körper zu rie­chen, an seinen Schultern, unter seinen Achseln, an seinem Bauch. In all diesen Bereichen schien der Geruch ganz normal. Eggen beschnupperte auch noch seine Zehen, seine Waden und so gut er es fertigbrachte, auch seine Leibesmitte, aber auch an diesen Stellen war der Geruch unauffällig oder sogar wohlgefällig. Erst als er seine Nase wieder leicht nach oben zog, und zur Sicherheit noch einmal leicht nach links und nach rechts, warf ihn der Gestank beinahe wieder um. Eg­gen, der wusste, das etwas mit ihm nicht stimmte, sprang aus dem Whirlpool und griff nach seinem Bademantel. Dabei blickte er in den Standspiegel und musste zu seinem Entsetzen erkennen, dass er keinen Menschenkopf mehr hatte, son­dern den eines Roten Thuns. Entgeistert schrie er Virginelle an, was sie mit ihm angestellt hätte. Sie hätte ihn gewarnt, entgegnete sie lächelnd, bei dem Zauber, den sie angewendet hätte, sei leider eine Kleinigkeit schief gelaufen, er hätte jetzt eben einen Fischkopf. Am schönsten fände sie es aber, dass ein menschliches Sprichwort sich wieder einmal bewahrheitet hätte, nämlich, dass ein Fisch am Kopf zu stinken beginne. Mit Leichtigkeit entwischte sie dem vor Wut rasenden Eggen und sprang mit einem Köpfler ins Meer. Eggen blieb mit seiner Yacht in den folgenden Monaten draußen auf See und schlug seinen Thunfischkopf so oft gegen die Reling, dass sein Haupt am Ende von der Form her wieder als ein ramponierter menschlicher Fetzenschädel durchgehen mochte. Virginelle ging in Marseille an Land und nahm sich Zeit, um sich zu akklimatisieren. Entjungfern ließ sie sich erst geraume Zeit später, von einem Weintrinker, mitten in einem Rebengarten in Bordeaux.

Michael, 16. August 2019

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