Kühe, Kinder, Bienen

„Waltraud sagt, die Kühe sind noch nicht heimgekommen“, sagte Franziska. „Was sollen wir tun?“

„Ich wusste gar nicht, dass wir Kühe haben“, erwiderte ich und blickte von meiner Zeitung auf. „Ist das sicher?“

„Ich weiß es auch nicht. Ich werde Waltraud noch einmal fragen“, sagte Franziska. „Damit wir wirklich auf Nummer Sicher gehen.“

Ich nickte und vertiefte mich wieder in meine Lektüre.

„Sie ist sich ziemlich sicher“, sagte Franziska, als sie zurückkam, „dass sie nicht heimgekommen sind. Aber es ist möglich, sagt sie, dass es gar keine Kühe waren.“

„Das wäre aber wichtig“, erwiderte ich. „Kühe brauchen nämlich manchmal sehr lange, bis sie nach Hause kommen. Und erst, wenn sie wieder da sind, können wir klären, ob sie wirklich uns gehören.“

„Soll ich Waltraud fragen, was es sonst noch gewesen sein könnte?“, fragte Franziska. „Vielleicht hat sie ja noch eine Idee.“

„Ja, frag sie“, ermunterte ich Franziska. „Wir können erst dann die richtigen Maßnahmen in die Wege leiten, wenn wir wissen, ob es Kühe sind, die nicht heimgekommen sind, oder etwas anderes.“

Ich steckte meine Nase wieder in mein Leibblatt, um den Leitartikel zu lesen.

„Es könnten auch Kinder sein“, sagte Franziska, als sie wiederkam. „Oder Bienen. Waltraud ist sich nicht mehr ganz sicher. Sie glaubt, dass Kühe vielleicht zu groß wären.“

„Zu groß wofür?“, hakte ich nach. „Zu groß, um nicht heimzukommen? Ich dachte, Waltraud hätte etwas gesehen.“

„Sie hat nicht gesagt, dass sie etwas gesehen hat“, erwiderte Franziska. „Ich frage sie zur Sicherheit aber noch einmal.“

Ich widmete mich dem Kulturteil meiner Zeitung.

„Sie hat nichts gesehen“, berichtete Franziska bei ihrer Rückkehr, „und sie ist sich auch nicht mehr sicher, ob die Kühe, Bienen oder Kinder nicht heimgekommen oder vielleicht gar nicht fortgegangen sind.“

„Aber wenn sie nicht fortgegangen sind, dann sind sie ja noch da“, rief ich, „und wenn sie noch da sind, dann kann man ja nachschauen und feststellen, ob es Kühe, Kinder oder Bienen sind.“

„Das leuchtet ein“, sagte Franziska. „Ich werde Waltraud bitten, dass sie nachsieht.“

Während ihrer Abwesenheit schmökerte ich im Sportteil.

„Sie ist nun so verunsichert, dass sie gar nichts mehr sagen will“, berichtete Franziska. „Was machen wir jetzt?“

Ich werde jetzt hinausgehen und mit Waltraud reden“, entschied ich und klappte meine Zeitung zu.

„Draußen stehen vier Frauen“, sagte ich zu Franziska, als ich zurückkam. „Ich habe alle vier angesprochen, aber keine von ihnen heißt Waltraud. Waltraud ist nicht mehr da. Lauf du doch zu ihr nach Hause und frag sie noch einmal, damit wir endlich Klarheit haben.“

„Es tut mir leid“, sagte Franziska, „aber das ist unmöglich. Ich kenne Waltraud doch gar nicht. Ich habe sie vorhin zum ersten Mal gesehen.“

Ich schlug mir mit der flachen Hand auf die Stirn. Franziska zuckte die Schultern.

„Stellen wir uns also endlich hinaus“, rief ich, „und warten wir, bis die Kühe heimkommen.“

„Oder die Kinder“, rief Franziska, „oder die Bienen!“

Michael. 13. November 2020

Ein Kommentar zu „Kühe, Kinder, Bienen

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