Georg, der sehr gerne alleine gelebt hatte und mit dem Vermieten von Ziegen zu einem beachtlichen Vermögen gekommen war, lernte vor vier Jahren im Spätherbst eine Frau namens Viktoria kennen. Viktoria war eloquent, modisch und überzeugend. Am strengen Geruch von Georg, was der Beruf mit sich brachte, hatte sie keine Freude und Georg musste das Ziegengeschäft aufgeben und über einen Unternehmensberater verkaufen. Dafür roch er nach einem seltenen Parfum, das den Wert einer Ziege überstieg. Seine Jeans und die karierten Hemd wurden gegen Maßanzüge getauscht. Die Rolex Date Just in Weißgold, die einer mittleren Ziegenherde entsprach, zierte nun sein Handgelenk. Beim Porsche vermied er bewusst die Umrechnung in Ziegen, da er sonst den Tränen nahe gekommen wäre. Viktoria war glücklich, Georg entwickelte sich ganz nach ihrem Geschmack. Sie gewöhnte ihm schlussendlich auch noch ab, anderen Frauen, die meist aus Viktorias Sicht drei Klassen unter ihrer Kategorie waren, nachzusehen. Es war tatsächlich perfekt. Was Viktoria aber nicht bedacht hatte, dass diese Entwicklung auch anderen Frauen nun auffiel. Bei diversen festlichen Anlässen himmelten sie ihn an, klebten an seinen Lippen und lächelten verwegen, wenn er nur kurz mit ihnen sprach. Viktoria versuchte ihn mehr abzuschirmen, was ihn aber noch interessanter werden ließ. Sie machte ihm mehr als einmal eine Szene und eines Abends, als sie wieder mehrere Rosental-Teller nach ihm geworfen hatte, stieg er in seinen Porsche und wollte nur mehr weg. Die Trennung machte schnell die Runde und er hatte pro Tag meist die Nummern von mehr als zehn Frauen am Display. Er traf sich mit der einen oder anderen, aber irgendetwas fehlte. Sie waren hübsch, oft auch reich, nahmen ihn vielleicht auch so wie er war. Er wusste einfach nicht mehr, was er wollte bzw. wer er überhaupt war. So fuhr er nächtens oft durch die ländliche Gegend und hoffte auf eine Eingebung. Diese kam – und das überraschte ihn eigentlich gar nicht – in Form einer Ziege. Diese stand plötzlich nächtens mitten auf der Strasse vor ihm. Es war Anna, eine siebzehnjährige Passeirer Gebirgsziege aus seinem ehemaligen Besitz, leicht an ihrem grau-weißen Bart mit dem speziellen Muster zu erkennen. Er fragte sich, was denn Anna mitten auf der Straße in der Nacht hier macht, zögerte aber nicht lange, ließ sie am Beifahrersitz Platz nehmen und legte den Gurt an. Er fuhr die Serpentinen zielsicher hinauf und bog auf einen Feldweg ab, der zu seinen ehemaligen Stallungen führte. Daneben stand das kleine Häuschen unverändert und er parkte davor. Es machte ihm die neue Besitzerin auf, die ihn zuerst gar nicht sah, sondern nur Anna, die Ausreisserin, überschwänglich willkommen hieß. Er räusperte sich und sie fiel ihm dankend in die Arme. Claudia war ganz nach seinem Geschmack, pralle Brüste, blonde Haare, roch nach Ziegen und Georg ließ sich gerne auf einen nächtlichen Kaffee und ein Stück Ziegenkäse einladen. Er verbrachte dort glückliche Tage und Nächte. Claudia meinte am siebten Tag, dass vielleicht Jeans ihm besser stehen würden, aber Georg lehnte dankend ab und meinte, dass er seinem Stil nun doch treu bleiben wollte. Claudia war das letztendlich auch egal, sie genoss Georgs Anwesenheit und sie bildeten nicht nur privat, sondern kurze Zeit später auch im Beruf ein Paar. Der Ziegenverleihbetrieb florierte immer mehr, die Kunden schätzen das schnelle Bringen und Abholen einer Ziege mittels des Porsche. Sie sind nun mit dem Ziegenverleih in 13 Länder mit Zweigniederlassungen tätig. Als er einmal bei der Heimfahrt von Zürich von einer Polizistin aufgehalten worden war und diese die ordnungsgemäß angeordnete Ziege am Beifahrersitz entdeckte, meinte sie, dass die besten Männer leider nicht auf Frauen stehen würden. Er nickte betroffen.
Harald, 19. November 2020.
Und jetzt fährt sie nicht mehr mit dem Porsche sondern mit dem IC.
Von meinem iPhone gesendet
LikeLike