Hans

Hans, dessen Nachname nichts zur Sache tut, gewann bei einer Tombola eines europaweit agierenden Energiekonzerns ein in Betrieb befindliches Atomkraftwerk. Da es aber von seinem Domizil zu weit entfernt lag, als dass Hans sich um die Anlage persönlich kümmern hätte können, tauschte er es bei einem Konkurrenten des Konzerns gegen ein Kohlekraftwerk ein, das quasi gleich bei ihm um die Ecke lag. Als er zum ersten Mal zum Werksgelände seines Stromerzeugers hinüberradelte, wurde er dort zwar mit offenen Armen aufgenommen, gleichzeitig aber darauf hingewiesen, dass langsam die Kohle zur Neige ging und dass Nachschub bestellt werden musste und dass dies zu den Aufgaben des Eigentümers gehörte. Hans gestand frei heraus, dass ihm für eine Kohlebestellung das nötige Kleingeld fehlte. Da träfe es sich ja gut, erwiderte der Werksleiter, dass gerade der Kohlehändler da sei. Mit ihm könne Hans sicher ein klärendes Gespräch führen. Der freundliche Händler wies Hans noch einmal darauf hin, dass ein Kraftwerk ohne Kohle nichts wert sei, wohingegen Kohle ohne ein Kraftwerk auch leicht für etwas anderes verwendet werden konnte als zur Stromerzeugung. Vielleicht wolle er, Hans, ja tauschen. Er, der Händler, biete ihm für das Kraftwerk eine große Halde feinster Steinkohle, die Hans notfalls auch zu Geld machen konnte, wenn ihm gar nichts anderes einfiele. Hans willigte freudig ein, musste aber bald erkennen, dass der Verkauf von Kohle zu Heizzwecken an Privathaushalte auch kein Honiglecken war, wenn man nicht über eine entsprechende Vertriebsinfrastruktur verfügte. Als ihm daher der Besitzer des Tagebaus, auf dessen Gelände Hansens Steinkohle lagerte, anbot, die Kohle gegen Anteilsscheine an einer kleinen Diamantmine zu tauschen, schlug Hans sofort zu. Er entschied sich für die Mine und reiste in die Berge, um dort an einer Aufsichtsratssitzung der Betreibergesellschaft teilzunehmen. Dort wurde ihm eröffnet, dass die Mine fast vollständig ausgebeutet war und dass sie von ihrem Wert her höchstens noch an die Austernfarm heranreichte, die einem der Mitbesitzer der Diamantmine auch noch gehörte. Weil er, Hans, ihm, dem Mitbesitzer, Leid täte, würde er ihm gern gegen seine Anteilsscheine an der Mine die Austernfarm überlassen. Hans ließ sich auf das Geschäft ein und reiste als nächstes ans Meer, um seine Austernfarm zu besuchen. Als er die Küste erreichte und die ihm genannte Stelle aufsuchte, eröffnete ihm der in Tränen aufgelöste Verwalter, dass ein Tsunami die gesamte Farm fortgerissen hätte und dass er, der Verwalter, lediglich ein halbes Dutzend Perlen retten hätte können, die er ihm, Hans, natürlich sofort aushändigen wolle. Mit seinen Perlen trat Hans den Heimweg an. Unterwegs begegnete er einem Schweinehirten, mit dem er ins Gespräch kam und der ihm anbot, die Perlen gegen ein paar seiner Schweine einzutauschen. Weil Hans aber des Tauschens müde war, sagte er zu dem Hirten, dass er mit ein paar Pfund Speck schon zufrieden sei und nahm die Perlen und warf sie vor die Säue. Dann fiel ihm ein, dass er sich ja schon seit geraumer Zeit vegetarisch ernährte und deshalb für den Speck gar keine Verwendung hatte. Stattdessen nahm er sich einen Eimer von dem köstlichen Mais mit, mit dem der Hirte seine Schweine fütterte. Mit dem Mais kehrte er glücklich nach Hause zurück und bereitete sich daraus einen vorzüglichen Salat, der ihn mehrere Tage lang nährte. An einer Tombola eines Energiekonzerns nahm Hans danach nicht wieder teil.

Michael, 5. Februar 2021

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