Die Kippliesel und der Wackelhans waren zwei in die Jahre gekommene, lebensgroße Aufsteller, die ihr Ausgedinge in einem Werbemittelmuseum fristeten. Der Wackelhans war ein Blechkamerad, der als künstlicher Polizist auf gefährlichen Straßenkreuzungen begonnen hatte und später, als die Exekutive neue Uniformen ausfasste, zu einem Role Model für Prostatakrebsvorsorge umgestaltet wurde. Die Kippliesel war eine Figur aus Hartpappe, die als zweidimensionale Suffragette das Licht der Welt erblickt und für das Frauenwahlrecht geworben hatte und nach dessen Verwirklichung von einer rechtskonservativen Partei gekauft und zu einer heimatverbundenen Jodelkönigin umdekoriert wurde, die stumm den Wert des halsbrecherischen Alpengesangs für die Bewahrung der kulturellen Identität der Bergler bewarb. Als die beiden Gestalten nicht mehr gebraucht wurden, wurden sie ausgemustert. Weil das Werbemittelmuseum, das sie seither beherbergte, aus allen Nähten platzte, war dessen Betreiber gezwungen, einen Gutteil seiner Aufsteller in den weitläufigen Gartenbereich auszulagern, der das Museum umgab. Diese Maßnahme ereilte auch die Kippliesel und den Wackelhans. Der Kustos schraubte sie an den rechteckigen Befestigungsstreifen, die unten jeweils in 90-Grad-Winkeln von den eigentlichen Figuren abstanden, an Betonsockeln unweit der steinernen Außenmauer fest, was für die nötige Stabilität der Aufsteller sorgte. Sorgfältig austarierte, zwischen Bestigungsstreifen und Figuren befindliche, elastische Elemente waren, wie schon vermutet werden durfte, namensgebend für den Wackelhans und die Kippliesel. Weil das Museum direkt an der Nordsee lag, wehte auf dem Gelände regelmäßig ein böiger Wind, der Wackelhans‘ Blechkörper immer wieder in Schwingungen versetzte und so nahe an den Pappkörper der Kippliesel heranwehte, dass die beiden Flachleiber sich heftig aneinander rieben. Das Unvermeidliche geschah. Als der Kustos einmal nach einer längeren Starkwindperiode den Zustand der Aufsteller im Museumsgarten überprüfte, stellte er verblüfft fest, dass sich aus der Leibesmitte der Kippliesel ein Bäuchlein wölbte. Es bestand kein Zweifel, dass der Hans die Liesel geschwängert hatte. Eines Morgens fand der Museumsverantwortliche unten auf dem Beton den Nachwuchs der beiden Aufsteller, den die Kippliesel augenscheinlich in der Nacht davor zur Welt gebracht hatte. Es handelte sich um ein Zwillingspärchen, einen Jungen und ein Mädchen, das der Kustos an eine windgeschützte Stelle im Garten brachte und dort gleich im Boden verschraubte. Die ersten Museumsbesucher, die die beiden Neuzugänge zu Gesicht bekamen, waren die Eheleute Schurstenbügel, die eigens aus Pforzheim an die Nordsee gereist waren, um das Werbemittelmuseum zu besuchen. Sie standen lange nachdenklich vor dem frisch geschlüpften Zwillingspärchen. „Das Mädchen“, sagte Herr Schurstenbügel schließlich, „sieht aus wie ein Role Model aus Blech, das mit seinem Jodelgesang für Prostatakrebsvorsorge wirbt.“ „Stimmt“, sagte Schurstenbügels Frau. „Und der Junge sieht aus wie ein Papppolizist, dem das Frauenwahlrecht besonders am Herzen liegt.“ Die Schurstenbügels, die über ihre Assoziationen herzlich lachten, ahnten nicht, wie nahe sie damit an der Wahrheit lagen.
Michael, 07. Mai 2021.
Hallo ihr Beiden,
ich habe mir erlaubt, eure Seite in meiner Blogroll zu verlinken, immer ganz unten auf jedem Beitrag von mir:
Eure Geschichten gefallen mir immer richtig gut. Bin auch ganz erstaunt, woher ihr jede Woche wieder eine tolle Idee habt. Wahrscheinlich seid ihr kreativ 😉
Viele Grüße von einem Fan
Marco
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Hallo Marco, das freut uns wirklich sehr. Wenn wir es technisch schaffen, verlinken wir deine Seite auch gerne. Du kannst auch gerne bei uns als Gastautor eine Geschichte beitragen (Thema Beziehungen, vielleicht kam dir dieses Thema bei deinen Reisen schon mal unter). Viele Grüße Michael und Harald
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Ok, vielen vielen Dank fürs Angebot. Da muss ich mal die Augen offen halten. Vielleicht fällt mir dazu was ein.
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Köstlich!
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