Maria

Es konnte nur mehr Maria helfen. Was war in diesem Jahr bisher alles schief gelaufen. Zuerst diese kleine Affäre mit Chloé (hätte ihn fast seine Ehe gekostet), dann dieses Bitcoin-Desaster (hatte ihn mehr als 20 Millionen gekostet) und als Höhepunkt eröffnete ihm seine Psychologin, dass wohl eine in der Kindheit ausgelöste Paraphilie bei ihm sublimiert wurde und er diese erfolglos in Romanen verarbeiten würde. Er sollte stattdessen doch seine Neigung zum Exhibitionismus (F65.2 nach ICD-10) ausleben. Nur die letzte Maiandacht dieses Jahres könnte wohl Abhilfe schaffen. Die Gottesmutter hatte ihn noch kein Jahr im Stich gelassen und so suchte er Ende Mai am Abend die kleine Kapelle auf. Es waren um die zwanzig Besucher und er legte seine Sorgen in die Hand der Gottesmutter. Beim Rosenkranz schossen ihm die Gedanken nur so durch den Kopf. Das passte alles noch nicht zusammen. Bei „Maria, breit den Mantel aus“ wurde ihm einiges klar. Die Gottesmutter würde ihm auch das gönnen. Nach dem Erhalt des Segens ging er vor die Kapelle. Er ließ die Hosen runter und lief die 100 m zu Alfred, der mit dem Rolls Royce wartete. Alfred wunderte sich nicht weiter und öffnete ihm die Tür. Selten hatte er ihn so glücklich gesehen. Als sie losfuhren, blickten sie in einige verstörte Gesichter. Nächsten Tag besuchte ihn der örtliche Pfarrer in seiner Villa und meinte, dass er sich nicht zu schämen bräuchte, die Anbetung der Gottesmutter führte in der Vergangenheit nicht nur einmal zu seltsamen Reaktionen. Am nächsten Tag ließ er sich zur Einkaufsstraße der Stadt fahren und lief diese nur mit einem geöffnetem Mantel bekleidet entlang. Am anderen Ende erwartete ihn schon Alfred und er ließ sich sofort nach Hause fahren. Seine Frau wunderte sich zwar über sein wiedererwecktes Interesse an ihr, war aber durchaus zufrieden mit seiner Wandlung. Nach seinem Heimatort nahm er sich die Einkaufsstraßen von Wien, Berlin und Zürich vor. In der Dach-Region war er bald als der edle Rolls Royce – Flitzer bekannt, nicht zu unrecht, schließlich war der Chesterfield-Mantel, den er geöffnet trug, aus Kaschmir. Es dauerte nicht lange, da kamen sogar Anfragen aus New York und Sidney. Da seine Frau nicht gerne reiste, nahm er Übersee doch Chloé mit, die ihn nach getaner Arbeit immer freudig im Rolls Royce erwartete. Es dauerte nicht lange, da hatte er von einem Dutzend Verleger Anfragen. Sein im Eigenverlag erschienener Roman „Der Flitzer mit dem Kaschmir-Mantel“ brachte ihm beinahe 100 Millionen Euro ein, was ihn mit dem Jahr dann doch wieder versöhnte. Als er die Hälfte davon an die Caritas überwies, berichteten nicht wenige, dass in der kleinen Kapelle die Marienikone immer wieder mal lächeln würde.

Harald, 28. Mai 2021

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