Flüssiges Gold

Mein Name ist Minus Pluslafson. In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war ich einer der führenden Ölbohrexperten meines Heimatlandes Norwegen. Hauptsächlich kannte ich mich aufgrund meiner Herkunft mit Bohrungen im offenen Meer aus, aber einmal wurde ich an den Rand der Wüste gerufen, von Scheich Ahmed Ben Wasned, der mich engagierte, weil ich ihm helfen sollte, in seinem näheren Umfeld nach Öl zu bohren, unter ungewöhnlichen Umständen, wie mir der Scheich gleich eingangs eröffnete. 

Er sei mit Leib und Seele Ölscheich, sagte Ben Wasned, nachdem er mich gebeten hatte, im schattigen Innenhof seines Anwesens Platz zu nehmen. Von Anfang an habe er die Ölförderung zusammen mit seinem Vetter Abu Washamada betrieben, der ebenfalls ein Scheich sei. 

Irgendwann aber hätte sein Vetter, dessen Anwesen sich gleich nebenan befinde, begonnen zu betrügen und für sich mehr Öl aus den gemeinsamen Bohrlöchern abzuzweigen, als ihm zugestanden hätte. Er aber, Ahmed Ben Wasned, sei von ruhigem Gemüt und würde nicht bei jeder kleinen Unregelmäßigkeit gleich durch die Decke gehen. Der Vetter habe es aber immer dreister getrieben und mehr und mehr Rohöl abgezweigt und sich, man könne es nicht anders sagen, zu einer moralisch verkommenen Latrinenkröte entwickelt. 

Schließlich habe er, Ahmed Ben Wasned, keinen anderen Ausweg mehr gesehen als seinen Vetter Abu Washamada zur Rede zu stellen. Zu diesem Zweck habe er ihn nach einer weiteren Woche Bedenkzeit auf seinem Anwesen aufgesucht. Mit den Vorwürfen konfrontiert habe der Vetter Abu bloß gelacht und gesagt, dass ihn das Öl in den gemeinsamen Bohrlöchern nun gar nicht mehr interessierte; er nenne einen weitaus größeren flüssigen Schatz sein Eigen, der ausschließlich in seinem, Abu Washamadas Boden ruhe. 

Er, Ahmed Ben Wasned, sei wütend unverrichteter Dinge wieder abgezogen. Von seinen Leuten habe er das Anwesen des Vetters von da an Tag und Nacht beobachten lassen. Seine Spione hätten ihm von verdächtigen Erdarbeiten berichtet, es sei auch ein riesiger Tank geliefert worden und allerlei Gerätschaften, wie sie auch bei der Erdölförderung benutzt würden. 

Ich spürte, dass Ahmed Ben Wasned nun zum Punkt kommen würde und sah ihn erwartungsvoll an. Ich behielt recht. 

„Sie, Minus Pluslafson, müssen mir helfen“, sagte der Scheich. „Ich glaube, dass mein Vetter auf dem Grundstück, das zu seinem Anwesen gehört, ein riesiges Ölfeld entdeckt hat. Ich möchte, dass Sie in meinem Auftrag heimlich nachts dort bohren, damit ich mir von meinem Vetter das Öl zurückstehlen kann, um das er mich betrogen hat. Ihre Entlohnung soll fürstlich sein!“ 

In seinen Blicken lagen ein solches Flehen und eine solche Bestimmtheit, dass ich nicht nein sagen konnte. 

„Gut, ich mache es“, sagte ich. „Aber eines möchte ich noch wissen: Warum gerade ich?“

„Ihr Norweger habt im Meer nach Öl gebohrt“, sagte Ahmed Ben Wasned, „wo es am schwierigsten ist. Also müsst ihr die besten sein. Und ich will einen von den besten, damit die Rache an meinem Vetter auf jeden Fall gelingt.“ 

„Dann stelle ich noch eine zweite Bedingung“, erwiderte ich. „Sie, Ahmed Ben Wasned, gehen mir zur Hand, wenn ich Ihren Vetter bestehle. Ich brauche jemanden, der mir hilft, meine Ausrüstung zu schleppen.“ 

Der Scheich war einverstanden. Bis zum Einbruch der Nacht hielten wir uns noch schattigen Innenhof von Ben Wasneds Anwesen auf. Dann brachen wir auf. Wir überwanden den Zaun, begaben uns auf Abu Washamadas Grundstück und schlichen im Mondschein am Gebäude entlang, bis Ahmed Ben Wasned mich auf eine Stelle im Gelände aufmerksam machte, an der frische Spuren zu sehen waren, die von Baumaschinen herrührten. 

„Hier sind wir richtig“, flüsterte der Scheich. „Hier bohren wir.“ 

Ich stimmte ihm zu und bat ihn die Ausrüstung abzuladen, die er sich auf den Rücken geschnallt hatte. Ich setzte mein Sondierungsbohrgestänge zusammen und koppelte es mit einem leistungsstarken Elektrobohrer, der an den meisten Einsatzstellen half, die Frage zu beantworten, ob sich die Ausbeutung eines darunterliegenden Vorkommens lohnte. Ich nahm den Bohrer in Betrieb.  

„Bingo!“, flüsterte ich schon nach wenigen Minuten zu Ahmed Ben Wasned. „Wir sind auf eine Flüssigkeit gestoßen! Schnell den Schlauch! Dann können wir sie gleich ableiten und von Ihrem Anwesen aus in Ruhe analysieren!“ 

Ich verband das Schlauchende mit dem Austrittsventil am Bohrer und wickelte den Schlauch selbst, den ich um Brust und Rücken trug, sukzessive ab, bis wir wieder das Anwesen Ahmed Ben Wasneds erreicht hatten. 

„Nun wollen wir doch einmal sehen, ob sich unser kleiner Fischzug gelohnt hat“, sagte ich zum Scheich und drehte den Hahn auf, der mit dem Schlauch verbunden war. Eine Flüssigkeit begann in das vorbereitete Gefäß zu strömen. 

„Für Rohöl ist das Ganze entschieden zu hell“, sagte Ahmed Ben Wasned. 

„Stimmt“, bestätigte ich, steckte einen Finger prüfend ins Gefäß und kostete. „Es handelt sich auch nicht um Öl, sondern um Champagner.“ 

„Der Tank!“, rief Ben Wasned. „Mein Vetter hat gar kein Öl auf seinem Grund gefunden! Die räudige Latrinenkröte hat sich einen Champagnertank einbauen lassen! Das ist sein ganzer flüssiger Schatz! Nun ist er geliefert!“ 

Er zückte sein Mobiltelefon und tätigte einen Anruf, dessen Inhalt ich leider nicht verstand, weil Ahmed Ben Wasned arabisch sprach. 

„Wen haben Sie angerufen?“, fragte ich, nachdem er aufgelegt hatte. 

„Ich habe meinen Vetter bei der Sittenpolizei verpfiffen“, sagte der Scheich. „Sie wird seinen Champagnervorrat entsorgen!“ 

Später, als ich mit einem Koffer voller Bargeld auf der Rückbank der Limousine Ahmed Ben Wasneds Platz genommen hatte, die mich zum Flughafen bringen sollte, stießen wir bereits auf Höhe des Grundstücks von Abu Washamada auf unerwartete Hindernisse.

„Was ist los?“, fragte der Scheich seinen schottischen Fahrer. „Warum halten wir hier?“ „Die ganze Straße ist voller Sittenpolizisten“, erklärte der Fahrer. „Es müssen Dutzende sein.“ 

„Wunderbar!“, rief Ahmed Ben Wasned. „Sie sind wohl schon dabei, den Champagner abzupumpen. Bitte sie doch, kurz zur Seite zu treten, damit wir durchfahren können.“ 

„Ich fürchte, dass es gar nichts bringt, wenn ich sie bitte“, seufzte der Chauffeur. „Typisch Sittenpolizisten: Haben den Auftrag, den Champagner zu vernichten, wörtlich genommen. Sie kugeln kreuz und quer über die Straße, augenscheinlich sturzbetrunken.“ 

Michael, 02. Juni 2023.

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