Bierwelt 4.0

Sie waren jung, ambitioniert, anders. Das Büro eine alte Lagerhalle, neu gestaltet, mit Cubes und zentraler Kocheinheit. Jeden Tag ein anderer Arbeitsplatz, Besprechungsräume nach Themengebieten, grüne Wiesen an der Wand. Sie saßen vor Apple-Laptops, die mittels Docking-Station an großen Bildschirmen angeschlossen waren. Natürlich alle perdu, per du. Großraumbüro, mittels Raumteiler abgeschlossen, Wohlfühloasen. Der obligatorische Wuzzler und Tischtennistisch durften natürlich auch nicht fehlen, Kreative halt. Sie hatten eine gemeinsame Vision – unbedingt englisch aussprechen, da Unternehmenssprache. Wachstum, jeder sollte gerne zur Arbeit gehen, Erfolg war zentral, cool, allein an der Kleidung und Bart auszumachen. Die programmierte App konnte bereits mehr als zwei Millionen Downloads verbuchen, der Bildschirm am Empfang informierte über die genaue Zahl in Echtzeit, noch cooler. Arbeitszeitaufzeichnung, Schnee von gestern, Vertrauensarbeitszeit, ein Fließen zwischen Beruf und Privat, nein nur Beruf, neue Generation. Meetings, Pitch statt Bitch, Musik, aufgeputscht Tag und Nacht. Sie dachten alles neu und doch waren die Toiletten in blau und rosa gehalten, klassische Rollenbilder, über die sie aber nichts wussten. Die Büros in Wirklichkeit kalt, an Plattenbau erinnernd, als modern verkauft, alte Architekten in neuen Schläuchen. Die Bärte waren auch schon mal vor langer Zeit da. Selbst Idioten, die irgendwelche überteuerten T-Shirts wie in den Achtziger-Jahren kauften, konnten ausfindig gemacht werden. Das Neue hatte einen uralten Charakter, wie Fünfzigjährige, die sich plötzlich wie Zwanzig benahmen, ohne die angenehmen Begleiterscheinungen einer Midlife-Chrisis zu zeigen. Die Alten lernten von den Jungen, grundsätzlich kein Fehler, aber wären doch beide Richtungen notwendig. Religion, nein, aber eine Mission (englisch), die verfolgt werden musste. Chefbüros waren nicht nötig, besser ein Teil vom Team sein. Die Firma dann doch verkauft, Millionenerträge, natürlich nur für den Eigentümer, am Ende doch nicht Teil des Teams? Ein Kommen und Gehen, Oberflächlichkeit, Sinn am Ende nicht gefunden. Abends gingen sie nicht nach Hause, nein, Nightevent mit Punsch, am Holztisch stehend um einen Adventkranz, dessen Bedeutung ihnen sich nicht erschließen konnte. Punsch war bald zu Ende, sie konnten sogar lachen. Nicht wenige holten sich ein Bier, endlich ein Hoffnungsschimmer, doch keine verlorene Arbeitsgeneration.

Harald, 01. Dezember 2018

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