Zu einer Zeit, als man mit dem Auto genauso schnell von Linz nach Wien fahren konnte wie mit der Eisenbahn, hatte Herr Emm eine gewisse Theaterleidenschaft entwickelt. So kam es vor, dass er sich in seinen Wagen setzte und nach Wien fuhr um eine Vorstellung des Burgtheaters zu besuchen.
Zu dieser Zeit war Claus Peymann Direktor dieses ehrwürdigen Hauses, ein auch zuvor schon heftig akklamierter deutscher Theatermann.
Claus Peymann hatte es sich zur Gewohnheit werden lassen, sich in den Pausen manches Mal verkleidet unters Publikum zu mischen, um die wahre Meinung der Besucher zu erforschen. So kam es, dass just an jenem Tag als Herr Emm das Burgtheater besuchte, Claus Peymann sich wieder einmal unerkannt unter die Gäste gemengt hatte. Der Theaterfundus lieferte Kostüm und die Maske steuerte eine großartige Gesichtsveränderung bei. Nur auf eines wollte Claus Peymann nicht verzichten: Seine sportlich-elegante italienische Sommerhose, die er unter großen Mühen ausgewählt hatte.
Im Vorraum des Theaters war es heiß und Herr Emm war froh, als er endlich ein Glas kühlen Bieres in der Hand hielt. Vorfreudig betrachtete Herr Emm die Wasserperlen, die sich außen auf seiner Biertulpe gebildet hatten. Just als er das Glas zum Mund führen wollte, bekam er im Gedränge von hinten einen Stoß und er stolperte einen Schritt nach vorne. Dadurch berührte Herrn Emms klirrend kaltes Glas eine vor ihm stehende Dame genau zwischen den Schulterblättern, einer Stelle also, die vom Abendkleid nicht bedeckt war. Dies wiederum ließ die derart Erschreckte eine unkoordinierte Bewegung machen, die dazu führte, dass sich der Inhalt Ihres Weinglases über die Zegna Hose des heimlich lauschenden Claus Peymann ergoss.
‚Rotwein auch noch‘, dachte Claus Peymann. ‚Die is‘ hinn.‘
So kam es, dass sich Claus Paymann eine Hose kaufte und anschließend mit Thomas Bernhard essen ging.
Martin Siegel, im Dezember 2018
© Martin Siegel 2018
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