Obwohl die Tage schon wieder kürzer wurden, waren die Nächte im Hochsommer ein Genuss. Zur Dämmerung öffnete er auf seiner kleinen Hausbank aus Holz, der bereits ihr hohes Alter anzusehen war, ein kleines Bier und beobachte die hereinbrechende Nacht. Bereits nach kurzer Zeit bemerkte er Fledermäuse. Zuerst waren sie zu zweit, dann zu viert und schließlich glaubte er mehr als zehn Fledermäuse zu erkennen. Ihm gefiel das Treiben außerordentlich gut und besonders konnte er sich freuen, wenn sie ganz nahe an ihn heran flogen. Eine Fledermaus kam ihm schließlich doch zu nahe, sodass er sein Bier unbeabsichtigt vor Schreck zu einem kleinen Teil verschüttete. Die Fledermaus war irritiert und landete. Einem Meter vor ihm hatte sich in einer kleinen Mulde eine Pfütze gebildet. Diese Art von Fledermäusen schienen auch zu Fuß gut unterwegs zu sein und so tastete sich diese Fledermaus vorsichtig zur Pfütze vor. Er traute seinen Augen zuerst nicht, als die Fledermaus zu trinken begann. Eine Minute später landete eine zweite Fledermaus und genoss ebenfalls das Hopfengetränk. Bald darauf wurde es finster und er ging zu Bett. Am nächsten Abend wiederholte er das Ritual vom Vortag mit einem kleinen Unterschied. Er hatte diesmal eine kleine Vogeltränke zwei Meter vor seinen Füßen aufgestellt, die er mit etwas Bier gefüllt hatte. Diesmal waren ganze fünf Fledermäuse zur Tränke gekommen. Er hatte tagsüber noch recherchiert und wusste, dass Fledermäuse durch ihre nächtlichen Flugaktivitäten viel schwitzen und da konnte Bier wohl nicht schaden. Nach einigen Abenden beschloss er, den Fledermäusen ein eigenes Bier zu gönnen, da sowohl er als auch die Fledermäuse ihren Durst mit einem gemeinsamen Bier nicht stillen konnten. Pünktlich zum Beginn der Nacht kamen sie. Diese Nacht waren sie nur zu dritt. Nichtsdestotrotz konnten sie die Vogeltränke mit dem Inhalt einer Flasche Bier problemlos trinken. Sie waren sogar schneller beim Leeren als er selbst. Bereits als die erste Fledermaus startete, merkte er, dass sie es mit dem Bier wohl übertrieben haben. Sie landete relativ unsanft nach wenigen Metern im Garten, jedoch glücklicherweise unverletzt. Die zweite konnte fast den Apfelbaum überwinden, wobei sie dann aber doch an einem Ast hängenblieb und mit dem Kopf nach unten in allen Richtungen baumelte, sternhagelvoll. Ihm war nun ganz klar, dass auch diese Fledermaus viel zu viel vom Gerstensaft gekostet hat. Die dritte Fledermaus kam noch weiter, überflog gar den Gartenzaun und blieb dann unglücklich im Vorhang der geöffneten Terrassentür des Nachbarhauses hängen. Drinnen lief der Fernseher, vermutlich die Dokumentation „Universum“. Er hörte bereits den Schrei der Nachbarin, überwand den Gartenzaun und stand vor der Terrassentür. Schnell versuchte er die Fledermaus zu befreien, was ihm auch gelang, wobei nun die Nachbarin sich die Seele aus dem Leib schrie. Er verstand die Welt nicht mehr, bis er den Blick nach unten senkte. Aufgrund der diesmal doch etwas frischeren Nacht hatte er sich, als er die Holzbank aufsuchte, eine schwarze Decke umgehängt und schaute wohl jemanden Bekannten aus Rumänien sehr ähnlich. Er konnte das Ganze ja jetzt wirklich schlecht aufklären, also ergriff er als vermeintlicher Dracula die Flucht. Als er am nächsten Morgen beim Fleischhauer bereits von dem Vorfall hörte, dass in der letzten Nacht Frau Berger von Dracula heimgesucht wurde, hatte er noch die Hoffnung, das Ganze würde schnell wieder versanden. Leider war aber schon die Lokalpresse informiert und selbst die Volkszeitung schickte einen Reporter. Er wehrte sich einige Zeit und musste dann doch zum Überdruss noch ein Interview geben: „Ja, die Fledermäuse verhalten sich schon einige Tage aus unerklärlichen Gründen seltsam“, waren seine Worte. Wie wahr, wie wahr. Die Reporter füllten das sommerliche Loch gekonnt mit einer mehrtägigen Dracula-Geschichte, wo selbst Fledermaus-Experten zu Wort kamen, die aber das Geheimnis auch nicht lüften konnten. Die Nachbarin wird seit diesem Vorfall zu ihrem Leidwesen schräg beäugt und er füllt die Vogeltränke nunmehr wieder mit Wasser.
Harald, 27. Juli 2019