Im Festspielhaus und am Domplatz ging es heuer wieder hoch her. Nach der fulminanten Festspieleröffnung und der Lüftung des Geheimnisses um das offizielle Festspielbier findet heute Abend die Premiere des Jedermanns statt. Alle Darsteller fiebern dem Ereignis entgegen, die Jedermann-Rufer sitzen traditionell vor der Vorstellung zusammen und konsumieren ein Bier. Nachdem es vor vielen Jahren ein Jedermann-Rufer vom Stieglkeller nicht mehr auf die Festung geschafft hat, sind die heutigen Rufer deutlich zurückhaltender, schließlich haben sie im wahrsten Sinne des Wortes ihren guten Ruf zu verteidigen. Die halbe Bier neigt sich bei allen bereits zum Ende, als sich wider Erwarten die Buhlschaft dazugesellt. Sie ist bereits geschminkt und hat für den ersten Auftritt ihr Kleid bereits angezogen. „Na, Männer, habt ihr für mich auch ein Bier?“, fragt die Russin im besten österreichischen Dialekt. Die Rufer staunen nicht schlecht und bejahen die Frage schnell, bevor sie sich vielleicht noch anders überlegt. „Ich sage euch, dieser Jedermann ist kaum zum Aushalten“, führt sie fort, „der hat mich bei der Probe immer mit der Zunge geküsst und seine Hand wanderte dorthin, wo sie nicht hingehörte.“ Die Rufer lauschen ganz interessiert und antworten, dass beileibe nicht alle österreichische Männer so seien. Das Gespräch dauert an und das nächste Bier wird geöffnet. Die Buhlschaft fühlt sich sehr wohl und es werden Ideen geschmiedet, wie Jedermann zur Räson gebracht werden kann. Nach dem vierten Bier trennt sich die Runde, schließlich müssen die Rufer noch den Festungsberg erklimmen und Jedermann wartet bereits auf die Buhlschaft. „Schönes Kleid, ich freue mich schon auf den ersten Kuss“, sind Jedermanns erste Worte, als er die Buhlschaft sieht. „Ich mich auch“, haucht sie mit ihrer leichten Bierfahne, was den Jedermann doch etwas wundert. Das Spiel nimmt seinen gewohnten Lauf, die Jedermann-Rufer sind an ihrem Einsatzort angekommen. Die erste Kussszene kommt. Jedermann streckt seine Zunge heraus, als die Buhlschaft ihr Knie leicht aber heftig anhebt und Jedermann vor Schmerz kurz aufheult und sichtlich irritiert gebückt über die Bühne humpelt während das weibliche Publikum vor Begeisterung zu klatschen anfängt. „Du bist mein Buhl und perverser Mann. Jedermann. Schließ mich wahrhaftig der Bewegung an, me too, me too.“, weicht sie nun komplett vom Text ab. Das Publikum dankt es ihr mit Bravo-Rufen während Jedermann sich zu einer Entschuldigung aufrafft und so zum Text zurückkehren kann. Der tosende Abschlussapplaus bleibt unvergessen und als sich eine Stunde vor Mitternacht die Jedermann-Rufer wieder mit der Buhlschaft treffen, wird bis in den Morgen weitergefeiert.
Harald, 02. August 2019