Bangkok

Er ging am Chao Phraya entlang, der zu diesem Zeitpunkt von vielen Booten frequentiert wurde. Auf den Straßen begann die Rushour, die selbst für vielgereiste Europäer regelmäßig für ungläubiges Staunen sorgt. Bangkok, seit 2016 wieder die Nummer 1 der meistbesuchten Städte, zeigte sich von seiner besten Seite. Als er langsam über die Phra-Phutthayotfa-Brücke schlenderte, bemerkte er im Fluss eine treibende Bierflasche. Er meinte eine Singha-Beer-Flasche zu erkennen und wunderte sich zurecht, wieso eine Bierflasche an der Oberfläche treiben konnte, was selbst für Bangkok ungewöhnlich schien. Als er die Brücke überquert hatte, nahm er an der anderen Uferseite die Verfolgung auf. Die Flasche näherte sich dem Ufer und er wollte schon fast in das kühle, nicht gerade saubere Wasser springen. Obwohl es angeblich kaum mehr lebende Krokodile im Fluss geben sollte, wollte er es im letzten Moment doch nicht wagen. Er war gerade dabei die Bierflasche und deren Bewandtnis schon aufzugeben, da er sah er eine weitere Flasche im Fluss treiben. Wenige Minuten später waren es bereits hunderte Flaschen der Marke Singha. Irgendetwas schien gehörig schief zu laufen. Der Fluss war sicher mit allem möglichen Schwermetallen verunreinigt, aber dass nun auch Bierflaschen schwimmen, war trotzdem nicht zu erwarten. Seine eindeutige Diagnose: Nun kann wohl auch in Bangkok der Klimawandel nicht mehr geleugnet werden. Umweltverschmutzung war das eine, aber schwimmende Bierflaschen, mittlerweile schienen es gar Tausende zu sein, das andere. Auf Flugreisen, so dachte er, konnten betuchte Europäer natürlich nicht verzichten, da oft aufgrund des fortgeschrittenen Alters Segeltörns eher kaum in Frage kommen konnten. Er ging jetzt weiter flußaufwärts und hatte bald das Gefühl, der ganze Chao Phraya würde mit Bierflaschen bedeckt sein. Bangkok, eine verrückte Stadt, eine Stadt, die nur so aussieht wie jede andere, nun auch schwimmende Bierflaschen. Als er nach fast einer halben Stunde im Norden von Bangkok ankam, sah er eine sehr große, aufgebrachte Menschenansammlung. Auch das ist für Bangkok nicht ungewöhnlich, vielleicht – so sein erster Gedanke – ein Militärputsch, der eigentlich bereits längst überfällig wäre. Die Menschenmenge schmiss immer wieder Bierflaschen in den Fluss und skandierten in Richtung einer Brauerei, die das Bier abfüllte. Er trat auf eine der vielen auch am Boden befindlichen Flaschen und bemerkte sofort, diese waren aus Plastik. Aus Plastik, nun verstand er die aufgebrachte Menge. Nach kurzer Zeit meldete sich der Chef der Brauerei, ausgestattet mit einem Mikrofon und einem Verstärker, sowohl in Landessprache als auch in Englisch zu Wort. Er versicherte der Menge, dass das versuchsweise Abfüllen in Plastikflaschen mit heutigem Tag wieder beendet wird und in Zukunft das Bier wieder in Glasflaschen, die garantiert im Fluss untergehen, erhältlich sein würde. Das genoss er in Thailand, hier wurde Politik gemacht, Politik die sofortige Änderungen brachte, notfalls auch mit einem Militärputsch, deren Übergangsregierung – gar auch auf heimische Verhältnisse übertragbar – oft besser agierte als gewählte Parteien. Er hob zwei Flaschen auf und ging zwei Straßen weiter. Es wurde bereits finster und als er mit einer jungen Thailänderin mit zwei Plastikbierflaschen auf das Leben angestoßen hatte, war ihm klar, dass es zwischen Verzweiflung und Ekstase tatsächlich nur ein kleiner Schritt war. „One night in Bangkok makes a hard man humble…“.

Harald, 7. September 2019

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