Die Wiesen waren feucht, die Strassen rutschig und Nebelschwaden zogen in das Land. Ihre Abschusserfüllung lies sie heute wieder früh Richtung Hochstand wandern. Eigentlich war alles wie immer, selbst die aufgehende Sonne konnte bereits erahnt werden. Sie war leidenschaftliche Jägerin, kannte den Wald wie den Inhalt ihrer Handtasche, war schließlich seit Urgroßvaterszeiten im Besitz der Familie, nunmehr in ihrem und trotzdem hatte sie ein merkwürdiges Gefühl. Ihre Armhaare streckten sich deutlich in die Höhe, ihre Atmung wurde schneller, obwohl sie nicht gelaufen war, sie schwitzte nun sogar. Der Brustkorb fühlte sich an, als ob ein Rad ihres mittelgroßen SUVs sich darauf befand. „Herzinfarkt, ein Herzinfarkt“, dachte sie kurz, als der Nebel immer dichter wurde. Sie konnte den Waldrand gar nicht mehr erkennen.
Jetzt hört sie deutlich Stimmen. Stimmen, die nicht von dieser Walt sind. Sie versucht zu entkommen, kann keine Richtung finden. Ein spitzer Schrei, sie sieht drei Gesellen im Nebel: „Du bist nicht die rechtmäßige Besitzerin des Waldes, er wurde von deiner Familie mit gezinkten Karten ergaunert. Nun ist die Zeit für die Abrechnung gekommen.“, hört sie von der ersten Gestalt. „Ich spiele nicht Karten“, versucht sie sich zu rechtfertigen. „Aber einer deiner Vorfahren und nun holen wir uns, was uns gehört.“, brüllt die zweite Gestalt, die bedrohlich mit einem alten Schwert ausholt. Sie greift zum Gewehr, versucht es Richtung der Gesellen zu heben, es ist plötzlich zu schwer, sie muss es auslassen. Heftiges Lachen folgt. Sie spürt ein Kribbeln, zuerst in den Beinen, dann in der Leibesmitte, nun vermeint sie auch zu fühlen, wie ihre Haare von ihr wegstehen. „Es ist vorbei. Du wirst für alles büßen.“, holt der Dritte ein weiteres Schwert hervor und prüft die Schneide. Trotz fehlender Sonne funkelt die Waffe. „Es ist vorbei, es ist vorbei.“, gesteht sie sich hörbar ein, „ein letzter Wunsch?“. Die drei Gestalten sehen sich an, sehen aus wie Waldarbeiter vor Jahrhunderten und sind nach eingehender Beratung damit einverstanden. „Ich möchte ein letztes Bier trinken, ein K&K-Malzbier.“, stoßt sie plötzlich hervor, ein Biername von dem sie vorher noch nicht gehört hatte. Die Eingebung hat ihr eine bekannte Stimme gegeben, diese kann sie aber nicht zuordnen. Die drei Gesellen verstummen wohl angesichts der Tatsache, dass ihr Opfer sich ihr Lieblingsbier wünscht. Unter ihnen regt sich so etwas wie Verständnis und der Eindruck, das Thema auch anders lösen zu können. Die Szene ist kurz wie eingefroren, als die zweite Gestalt meint: „Du verkaufst den Wald an die Niedermayers in Oberhofen um ein Viertel des tatsächlichen Werts und tilgst damit die Ungerechtigkeit .“, grollt er, wenn auch schon etwas wohlklingender. „An die Niedermayers, Oberhofen, Oberhofen, Niedermayers.“ stottert sie. „So soll es sein. Und wehe dem nicht….“, hört sie nun von den sich entfernenden Gestalten. Der Nebel verdichtet sich ein letztes Mal und löst sich mit einem Knall auf. Leichter Regen fällt auf sie, ihr Mund noch immer geöffnet und sie schmeckt den Regen. In ihrem Mund sammelt sich das Herabkommende, es schäumt und sie schluckt. Sie ist sich sicher, es ist Bier, Bier aus dem Nebel, das K&K Malzbier.
Nächsten Tag machte sie die Familie Niedermayer aus Oberhofen ausfindig. Die Tochter erzählte ihr die Geschichte. Ein Vorfahre hatte tatsächlich bei einem Kartenspiel einen ansehnlichen Wald verloren. Seit diesem Zeitpunkt ging es mit der Familie bergab. Ihr vor zwei Monaten verstorbener Vater bat in seiner letzten Minute um Gerechtigkeit. Der Wunsch des Vaters schien sich nun zu erfüllen, als die Tochter den Kaufpreis hörte, ein Siebtel des eigentlichen Wertes, da die Jägerin das Risiko einer weiteren Begegnung mit den Gesellen zur Gänze ausschließen wollte. Dankbar unterschrieb die Tochter den Kaufvertrag für den Wald beim Notartermin am nächsten Tag. Als unsere Jägerin zu Hause ankam, stand vor der Tür ein K&K Malzbier mit lieben Grüßen von der Oberhofner Faschingsgilde. Als sie die Niedermayers in eine Internet-Suchmaschine eingab, musste sie feststellen, dass sich das Adelsgeschlecht seit geraumer Zeit mit günstigen Waldkäufen rühmen konnte.
Harald, 21. September 2019