Vollmond

Endlich wieder Vollmond. Sie spürt ihre Kraft, alles bereit zum Sprung. Langsam öffnet sie die Tür, ein Quietschen folgt. Dämmriges Licht, ideale Bedingungen. Sie geht über die Straße, um gleich danach in einen Feldweg einzubiegen. Entfernt ist ein ihr unbekanntes Tier zu hören. Ihre Fingernägel scheinen zu wachsen, sie spürt so etwas wie ein Fell auf ihrem ganzen Körper, zumindest kribbelt es immer stärker. Nach fünf Minuten erreicht sie den Wald und verschwindet im Dickicht. Plötzlich ist nur mehr ein Heulen zu hören, an der Lichtung ihre abgelegte Kleidung zu sehen. Werwölfe, was sonst? Eine zweite Gestalt kommt dazu, noch eine, bis schließlich zehn Schatten sich auf der Lichtung befinden. Ein Trommeln  ertönt, es findet ein Tanz statt, wilde Gesellen, kaum auszumachen, ob Frau oder Mann. Keine Kleidung erkennbar, rhythmisch, intensiv. Am Ende fallen sie – so im Mondlicht schemenhaft zu erkennen – übereinander her, animalisch, wild, unberechenbar, eben lustvoll. Nach einer Stunde herrscht Stille an der Lichtung. Die Kleidung wird übergestreift und der Weg führt nach Hause. Die Frage „Wo warst du denn?“ wird mit „Nur kurz draußen, konnte nicht schlafen, Vollmond eben.“ um 02.30 Uhr wahrheitsgemäß von ihr beantwortet. Der Rest bleibt im Verborgenen, in der Nacht bei Vollmond, unterbewusst, im echten Leben? Ein Jahr später wird die erste Teilnehmerin als Hexe verbrannt, weil das Bürgertum wieder einmal Angst hatte, damals vor Hexen und dem Satan, heute gar vor einem sechzehnjährigen Mädchen?

Harald, 19. Oktober 2019

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