Atemlos betret ich in der Abenddämmerung das Wolfsgeschäft. Ich spähe durch die Gitterstäbe in die Käfige. Die Wölfe riechen meine Ungeduld. Sie zeigen ihre Fänge, blecken ihre Zähne. Ihre Augen glühen gelb. Ich spüre dennoch keine Angst, ich kenn das alles zur Genüge. Ich such mir einen Wolf aus, und auf meinen Wink hin öffnet mir der Händler rasch den Käfig. In einer Hand halt ich dem Wolf den Wirbel eines Widders hin und lenk ihn damit ab und mit andern pack ich ihn fest im Genick und dreh das Nackenfell nach rechts, bis nichts mehr geht. Der Wolf jault auf. Nur langsam lass ich wieder los, befrei den Wolf von seinem ersten Schmerz. Mein Schutzversprechen murmle ich dabei dem Tier direkt ins Ohr. Noch eh der Wolf sich mir entwinden kann, halt ich ihm schon ein zweites Mal den Wirbel hin und dreh das Nackenfell nach links, genauso weit, und wieder heult der Wolf in seinem Schmerz laut auf. Den Schutzspruch wiederholend lass ich wieder langsam los. Der Wolf erkennt mich nun als den, der seine Schmerzen lindert. Er soll mich achten und Vertrauen haben in allem, was noch kommt. Dem Händler werf ich knurrend einen Beutel Bronzestücke hin, wie üblich. Ohne Gruß verlass ich das Geschäft, an meiner Seite schleicht der Wolf hinaus ins Freie. Es ist Zeit für uns.
Wir haben viel zu tun. Die Nacht ist jung, noch hat die Fängerin nicht ihre Köder ausgelegt, noch hat sie keine Fallen aufgestellt. Noch schlafen ihre Helfer. Ich lasse dennoch Vorsicht walten, meid mit meinem Wolf das Licht. In kurzer Zeit gewöhnt er sich an die Geschwindigkeit, die ich ihm vorgeb. Ich wähle enge Gassen, nehme Umwege in Kauf. Und doch darf ich den Wolf nicht überfordern; als Folge der Gefangenschaft im engen Käfig ist das Tier noch schwach. In seinen Augen hockt zudem der Hunger. Ich halt dem Wolf von Zeit zu Zeit ein Bündel Taubenfedern hin, wenn wir in Mauernischen Deckung finden. Ich flüstre jedes Mal dazu dem Tier den Taubenspruch ins Ohr. Von nun an heißt es auf der Hut sein, doch meine Sorge scheint ganz unbegründet, denn wir durchqueren unbehelligt einen großen Teil der Stadt. Im fahlen Licht von Gaslaternen seh ich schließlich unser Ziel: Die graue Kirche von St. Columban. Ich sink hinunter auf die Knie, auf Augenhöhe mit dem Wolf, versperr ihm mit dem Unterarm den Weg und sag ein letztes Mal den Taubenspruch. Noch dringt das Gurren leise von der Kirche zu uns her. Ich merk, dass auch der Wolf davon Notiz genommen hat. Ich richt mich wieder auf und fass dem Wolf mit festem Griff am Hals ins Fell.
Behutsam lenk ich unsre Schritte zu der Kirche hin. Das Gurren steigert sich, der Wolf hat keinen Funken Ruhe mehr in sich. Die ganze Kirche ist mit Tauben übersät, sie hocken oben auf den Dächern, gurren von den Giebeln und verdecken an den Fenstern all die Heiligen aus Glas. Die Vögel trippeln auch in Scharen durchs geöffnete Portal ins Innere der Kirche. Ich kann den Wolf nicht länger halten, mit einem Ruck befreit er sich aus meinem Griff. Der Hunger treibt ihn aufs Portal zu. Nicht die schwarzen will ich rufen, die schwarzen Tauben stehn im Dienst der Fängerin. Es ist zu spät. Der Wolf taucht ein ins Innere in der Kirche, umgeben von verzweifeltem Geflatter. Nun hoff ich, dass der Taubenspruch sich wirksam zeigt. Auf einen Schlag verebbt das Gurren, es ist still. Nur Augenblicke später hör ich Jagdgeräusche aus der Kirche: Das Wolfsgebiss zerstückelt Taubenkörper, der Wolf kann endlich seinen Hunger stillen. Ich lass dem Tier die Zeit dafür. Nach einer Weile schleicht der Wolf zurück ins Freie, legt sich friedlich vor mich hin und leckt das letzte Blut von seinen Lefzen.
Ich untersuch sein Fell und stell erleichtert fest, dass sich nur graue und vereinzelt weiße Federn drin verfangen haben. Ich zieh dem Wolf die Federn stoisch aus dem Pelz, betracht und ordne sie und binde sie am Ende dann zu einem neuen Bündel. Das alte Bündel Taubenfedern werf ich achtlos fort, denn es hat keine Schutzkraft mehr und ist nun ohne Wert für mich. Jetzt könnt ich doch zufrieden sein, die erste Prüfung hat mein Wolf bestanden, und doch entbehr ich die Gelassenheit. Um auszuruhn bleibt keine Zeit. Die Stunde naht, zu der die Fängerin in jeder Nacht ihr unheilvolles Werk beginnt. Und just in diesem Augenblick erhebt sich von St. Columban ein Taubenschwarm. Ich bräucht nicht hinzusehn, ich weiß genau, dass es nur schwarze sind, die jetzt dem Ruf der Fängerin gehorsam folgen. Ich richte zur Bestätigung dann doch den Blick hinauf zum Schwarm. Verächtlich spuck ich aus und seh die Tauben aus dem bleichen Schein der Gaslaternen in die Nacht entschwinden. Der Wolf lässt seine Augen zu, möcht schlafen, doch ich gönn ihm keine Ruhe, halt ihm schon die Falkenklaue hin und deklamier dazu den Falkenspruch.
Der Wolf erhebt sich widerwillig, stellt die Nackenhaare auf und fängt zu heulen an. Und ein paar Klagelaute lass ich ihm, dann streich ich ihm behutsam mit der Falkenklaue übers Maul. Der Wolf lässt mich gewähren und verstummt. Ich pack die Klaue ein und setz mich wieder in Bewegung, gefolgt vom Wolf. Und wieder wandern wir durch Gassen, die nur schwach beleuchtet sind, und suchen uns in Mauernischen Deckung. Auch diese kleinen Rasten nutz ich, um dem Wolf mit meiner Falkenklaue übers Maul zu streichen. Den Falkenspruch vergess ich dabei nie. Ich sprech die Worte langsam und gewichtig. Das neue Ziel ist wieder eine Kirche, die graue Kirche von St. Falcon, deren Turm es zu besteigen gilt. Der Weg führt uns hinauf zur Oberstadt, an deren höchstem Punkt der Glockenturm sich in die Luft erhebt. Ein starker Wind kommt plötzlich auf, der uns entgegen weht. Ich lass mich nicht beirren. Der Wolf bleibt folgsam hinter mir. Noch einmal halt ich inne und bemüh ein letztes Mal die Falkenklaue und trag dazu den Spruch vor. Dann setz ich mich noch einmal in Bewegung und überwind mit meinem Wolf den Anstieg durch die Enge der Milanengasse.
Der Wind fegt pfeifend um den Platz und wirbelt durch das Espenlaub, das überall am Boden liegt. Wir sind am Ziel und stehen an der Tür zum Glockenturm, sie ist verriegelt. Ich hämmere mit beiden Fäusten an das Holz der Tür. Der Glöckner öffnet missgelaunt ein kleines Fenster. Er kennt mich schon und nickt, ich werf ihm knurrend rasch drei Bronzestücke zu. Der Riegel wird zurück geschoben und die Tür geht knarrend auf. Der Glöckner reicht mir wortlos die Laterne und gibt den Weg zur Wendeltreppe frei, die steil hinauf führt bis zum Glockenstuhl. Ich nehme keine Rücksicht auf das Zögern meines Wolfs, die ersten Stufen schiebe ich das Tier hinauf, doch dann vernehmen wir von oben plötzlich Falkenlaute. Der Wolf ist augenblicklich wie verwandelt, kennt kein Zaudern mehr und hetzt hinauf zum Glockenstuhl. Auch diesmal will ich rufen, nicht die schwarzen, denn die schwarzen Falken stehn im Dienst der Fängerin, doch wieder ist’s zu spät. So bleibt auch dieses Mal die Hoffnung, dass der Falkenspruch das Richtige bewirkt. Viel später als der Wolf gelang auch ich um Atem ringend schließlich auf die Plattform. Ich spür den Wind aus allen Ritzen und verschaff mir knurrend einen Überblick.
Zwei Falkennester sind vom Wolf schon leer geräumt, ein drittes seh ich unversehrt. Drin hocken noch die schwarzen Nestlinge und lahnen. Ein braunes Weibchen kehrt zurück, um seine Brut zu hudern. Es findet nur sein leeres Nest, und eh der Vogel sich besinnen kann, greift ihn der Wolf schon an und beißt ihn tot. Er legt den toten Falken mir zu meinen Füßen hin, ich zück sofort mein Messer und trenne eine Klaue ab, mit einem festen Schnitt. Der alten Falkenklaue, die jetzt ja keine Zauberkraft mehr in sich hat, entledige ich mich, indem ich sie durch eine Luke im Gemäuer hinauswerf in den Wind, der draußen tost. Ich seh dem Wolf fest in die Augen. Sein Blick hält meinem nur für wenige Momente stand. Ich zwing den Wolf dazu, dass er sich meinem Willen fügt. Ich spür nun, dass es Zeit ist für den Abstieg, den wir sogleich in Angriff nehmen, und ich behalte recht, denn auf der Wendeltreppe kommt auf halbem Weg der Glöckner uns entgegen. Er muss die Glocken läuten, es ist kurz vor Mitternacht. Der Wolf und ich erreichen ohne Hast den Fuß der Treppe. Von oben hör ich, wie gewaltig das Geläut beginnt, es ist, als ob der ganze Turm vom Schall erzittert. Ich lösch das Licht und stell dem Glöckner knurrend die Laterne an ein Fenster.
Ich drück die Tür mit großem Unbehagen auf und tret, gefolgt von meinem Wolf, hinaus ins Freie. Der Wind hat in der Zwischenzeit an Stärke zugenommen. Er pfeift und bläst nun ohne Unterlass. Er spielt mit allem, was nicht festgebunden und gesichert ist. Es ist nun kurz nach Mitternacht. Die Zeit der Fängerin ist da. Wie jede Nacht beginnt sie nun ihr Netz knüpfen, das aus Fallen und aus Drähten sich zusammensetzt, die sie mit ihren Helfern aufstellt und verbindet. Die Fängerin ist überall als listenreich bekannt. All ihr Bestreben ist darauf gerichtet, die Wölfe anzulocken, hinters Licht zu führen, und wenn sie überwältigt sind, in Käfige zu sperren, die sie dann im Morgengrauen vor dem Wolfsgeschäft dem Händler überlässt. Die größte Zahl der Wölfe findet in den Käfigen nach kurzer Zeit den Tod, da sie der Händler ohne Nahrung, ohne Wasser ihrem Schicksal überlässt. Nur selten finden sich im Wolfsgeschäft noch Käufer ein. Ich bin der letzte, der noch regelmäßig kommt. Selbst wenn es hin und wieder einen andern gibt, der ein Erbarmen hat, so bleibt es doch ein Wagnis, die Tiere auszulösen und ihnen ihre Freiheit wieder zu verschaffen. Es sind nur kahle Hügel, die die Stadt umgeben. Der Weg hinaus bis in die letzten Wälder ist so weit, dass er für jeden Wolf den Tod bedeutet. Die Wölfe haben keinen Raum zum Existieren. So bleibt den Tieren nur das Leben innerhalb der Stadt, das gegen die Natur ist.
Und auch dem Wolf, der mir in dieser Nacht bisher so treu gefolgt ist, bleibt wiederum nur diese eine Wahl: Er muss sich nun bewähren, sich der Fängerin und ihren Fallen stellen. Kein Zaudern ist mehr angebracht, das Tier ist gut gerüstet. Wir müssen dorthin gehen, wo die Fängerin in jeder Nacht gesichtet wird, wo sie entscheidet, was geschehen soll mit allen, die ihr ins Netz gegangen sind. Der Friedhof von St. Lupus ist nun unser Ziel, der große Gottesacker, der letzte Ruhestätte ist für Mensch und Wolf. Wir stemmen uns dem Sturm entgegen, zu dem der Wind sich in der Zwischenzeit gemausert hat. Wir wählen wieder die Milanengasse für den Rückweg in die Unterstadt. Schon bald bemerken wir die ersten Drähte, die die Fängerin gespannt hat. Sie sind aus Leichtmetall gezogen und nah am Boden an den Mauern mit Haken festgemacht, sodass der Sturm sie nicht verwehen kann. Als Köder dienen wie gewöhnlich Tauben, deren Köpfe fest in Schlingen stecken, die mit den losen Enden aller Drähte kunstvoll verknüpft sind. Graue Tauben sind es in der Mehrzahl, auch ein paar weiße mach ich unter ihnen aus. Wir gehen weiter, mein Wolf schenkt all den Tauben wenig Acht. Je näher wir St. Lupus kommen, desto dichter spannt sich auch das Netz der Drähte, desto mehr sind Sorgfalt und auch Achtsamkeit vonnöten beim Setzen jedes Schritts.
Mit einem Mal bemerk ich unter all den festgemachten Tauben die ersten schwarzen, die beharrlich und betörend gurren. Auch ihre Köpfe stecken in den gleichen Schlingen, doch sind an diesen Schlingen über beinah unsichtbare Drähte Mechanismen angebracht. Wenn sich ein Wolf an einer von den schwarzen Tauben gütlich tun will, wird durch den Mechanismus gleich ein Käfig abgeworfen, der den Wolf gefangen setzt. Ich seh beunruhigt, dass in einigen der Käfige schon Wölfe sitzen. Die Handlanger der Fängerin verteilen sich und hieven die Gefängnisse gewissenhaft und ohne Hast auf ihre Leiterwagen und rollen sie der Reihe nach zum Friedhof von St. Lupus, wo die Fängerin wie jedesmal die Strecke einer ganzen Nacht versammelt wissen will. Ich dreh mich knurrend hin und her, weil ich so dicht umgeben bin von Tauben, dass mich schon Unbehagen packt. Mein Wolf hingegen hält sich ruhig; wie selbstverständlich bleib ich dennoch wachsam, weil ich weiß, dass noch nicht alles ausgestanden ist für ihn. Mit großer Mühe legen wir den letzten Teil des Wegs zurück und sehen endlich dann das große Tor des Friedhofs von St. Lupus vor uns. Der Sturm spielt mit den großen Eisenflügeln und verstummt mit einem Mal.
Wir meinen Falkenlaute zu vernehmen, doch eh wir noch Gewissheit haben, stürzen sich die ersten brauen Falken schon herab und schlagen zahlreich Tauben, in der Mehrzahl helle, doch auch schwarze sind darunter. Taubenblut fließt reichlich bei der Jagd, die meinen Wolf nun nicht mehr ruhig bleiben lässt. Er wittert ringsum all das Blut und fängt am ganzen Leib erbärmlich an zu zittern. Es stoßen weiter braune Falken aus der Luft zum Boden und schlagen wieder Tauben. Es ist mit einem Mal, als ob sich alle Schleusen öffnen. Aus dunklen Ecken drängen allenthalben Wölfe auf die Straße, die vor Hunger rasen und sich auf die Tauben stürzen und in großer Zahl gefangen werden von den Käfigfallen. Ein Schwarm von schwarzen Falken stürzt herab vom Himmel. Die Vögel kappen mit den Schnäbeln Drähte, die andre Fallen sichern, an denen keine Tauben als Köder für die Wölfe warten. So werden auch die Wölfe, die keine Tauben reißen, in großer Zahl gefangen. Wieder fürchte ich um meinen Wolf und wieder zeigt sich, dass er den Gefahren sicher widersteht. Er stürzt sich zwar ins Falken- und ins Tauben- und ins Wolfsgemenge und beteiligt sich am Kampf um Tod und Leben, doch immer sind es helle Tauben und nur braune Falken, die mein Wolf erlegt, so dass zu keiner Zeit Gefahr besteht, dass er gefangen wird in einem Käfig. Ich spür, dass meine Mission beinah erfüllt ist. Am Höhepunkt des Schlagens und des Kämpfens und des Reißens, des verzweifelten Geflatters, des Geklirrs der Käfige kehrt auch der Sturm zurück und steigert sich noch einmal zu der alten Stärke.
Doch diesmal ist sein Wüten nur von kurzer Dauer. Mit allergrößter Schaurigkeit erhebt sich plötzlich ein Geheul, das niemals in der Kehle eines Wolfes seinen Ursprung haben kann. Die letzten Wölfe, die noch frei sind, trollen sich voll Angst in dunkle Ecken. Die Falken, die noch unversehrt sind, schwingen sich ermattet in die Lüfte und die Tauben, die noch leben und am Boden hocken, hören auf zu gurren und erstarren. Die Fängerin ist da, bereits am Friedhof eingetroffen und heult so schaurig voller Gier, weil sie wie stets auf reiche Beute hofft. Die Handlanger der Fängerin beeilen sich und schaffen alle Käfige, in denen Wölfe sitzen, ins Innere des Friedhofs. Jeder Käfig wird auf eins der Gräber hingestellt, das einem Wolf als letzte Ruhestätte dient. Darauf hin stellen sich die Handlanger der Fängerin auf Menschengräber, nehmen ihre Ranzen ab, die sie auf ihren Rücken tragen. Sie ziehen aus den Ranzen Wolfskostüme. In aller Eile streifen sie sie über und verkleiden sich als Wölfe. Ich warte bis zu jenem Augenblick, in dem sich auch der letzte Helfer ganz in einen Wolf verwandelt hat. Dann schnür ich hastig meinen Rucksack auf und ziehe einen alten Schafspelz draus hervor. Den leg ich meinem Wolf um seinen Rücken und den Bauch und binde einen Schafwollfaden drum, doch so geschickt und locker, dass sich der Wolf dann seiner später leicht entledigt.
Als nächstes packe ich das Tier noch einmal fest im Nacken und dreh das Fell noch fester als bei den ersten Malen. Der Wolf jault auf, ich dräng und drück ihn auf den rechten Weg und lass dann plötzlich los, versetz dem Tier noch einen Tritt und bet, dass es genug ist, was ich tu. Und wie erhofft ergreift der Wolf sofort die Flucht und lässt mich ohne Zögern stehn. Ich wein ihm ein paar Tränen nach und wart noch eine Weile. Dann wandre ich durchs große Friedhofstor und suche mir ein Menschengrab ganz hinten in der letzten Reihe und stell mich an den Grabstein und verschränk die Arme, stütz mich ab. Ich atme ruhig. Ich üb mich in Geduld. Ich kenn die Fängerin schon lang. Ich seh sie in der Ferne an den ersten Gräbern. Ihr Wolfskostüm ist keinem andern gleich. Sie steht auf einem großen Leiterwagen, der von Handlangern gezogen wird, in feierlicher Langsamkeit, damit die Fängerin auch jedes Tier, das heut gefangen wurde, gewissenhaft betrachten und erschöpfend prüfen kann. Der Wagen hält an jedem Wolfsgrab. Ja, die Fängerin verrichtet ihre Arbeit sehr geduldig. Lange dauert es, bis sie die letzte Gräberreihe aufsucht und sie bis zur mir ans Ende kommt. Sie sieht mich, merkt, dass ich als einziger kein Wolf bin, und sie weiß, dass ich in all den Jahren nie ein Wolf war, und sie ahnt, dass ich an allen Tagen, die noch kommen werden, bleiben werde, was ich bin. Ich blicke knurrend in ihr falsches Wolfsgesicht und halte mühelos den Blick, denn ihre Augen bleiben immer Menschenaugen.
Sie sieht mich lange an wie immer, spricht kein Wort, doch dann zerreißt sie an der rechten Hand von innen her ihr Wolfskostüm. Die Hand liegt frei, die Fängerin ballt sie zur Faust und streckt den Daumen aus nach oben, dreht das Handgelenk und senkt den Daumen langsam bis nach unten, überlegt und dreht ihn dann ein Stück zurück und hält ihn waagrecht.
Michael, 7. Dezember 2019