Giebelkreuz

Hanebüchner verkaufte innergebirg als selbstständiger Vertreter biologisches Katzenfutter. Damit er die misstrauischen Gebirgler leichter von der Qualität seiner Tiernahrung überzeugen konnte, reiste er stets in Begleitung der schön­sten Katze der Welt. Sie hatte ein goldenes Fell und hieß Moneta. Hanebüchner hatte sie nicht unfruchtbar machen lassen, weil er hoffte, dass er irgendwann, wenn er mit dem Verkauf seines Futters genug Geld verdient hätte, sich zur Ruhe setzen und mit Moneta Nachwuchs züchten konnte, der sie an Schönheit womög­lich noch übertraf. Als er eines Tages im Sommer im Großarltal im Salzburgi­schen Pongau unterwegs war, war er in einem ebenerdigen Hotelzimmer unter­gebracht, das mit einer kleinen Terrasse ausgestattet war. Hanebüchner kippte ein Fenster und machte sich früh bettfertig, da er am folgenden Tag ausgeschla­fen sein wollte für einen wichtigen Termin mit dem Obmann des örtlichen Bau­ernbundes, dem er einen langfristigen Liefervertrag für sein Futter schmackhaft machen wollte. Moneta, deren Körbchen Hanebüchner am Fuß seines Bettes aufgestellt hatte, war außergewöhnlich unruhig. Hanebüchner schrieb diesen Umstand den wiederholten Ortswechseln zu. Er versuchte seine Katze zu beru­higen, indem er ihr seine gesamte Aufmerksamkeit widmete, sie besonders be­hutsam streichelte und zuguterletzt noch mit einer kleinen Extraportion seines biologischen Futters verwöhnte. Dann legte er sich ins Bett, löschte das Licht und schloss die Augen. In diesem Augenblick setzte draußen auf der Terrasse ein Konzert ein. Es bestand aus sehnsüchtigem Maunzen, schmachtendem Klagen und glutvollem Miauen und war so laut, dass an Schlaf nicht zu denken war. Hanebüchner trat ans Fenster und entdeckte draußen auf der Terrasse zwei streunende Kater, von denen all die Geräusche augenscheinlich ausgingen. Seufzend drehte Hanebüchner das Licht wieder auf. Moneta stand vor der Terrassentür, streckte ihr Hinterteil in die Höhe und stimmte in die Katzenmusik ein. Da begriff Hanebüchner, dass seine Katze die Ursache für alle die unangenehmen Lautäußerungen war. Sie war rollig. Er scheuchte Moneta sanft von der Tür weg, öffnete sie und stürmte hinaus, um die beiden Kater zu ver­jagen. Sein Erfolg war nur von kurzer Dauer. Unmittelbar nachdem Hanebüchner sich wieder hingelegt hatte, begann draußen das Konzert von Neuem. Er sprang noch einmal auf und versuchte ein zweites Mal, die Kater in die Flucht zu schla­gen. Wieder war ihm kein Erfolg beschieden. Nach wenigen Minuten kehrten Monetas Verehrer zurück und warben erneut lautstark um ihre Gunst. Hane­büchner wusste, dass er die beiden fangen und wegschaffen musste, wenn er seinen Schlaf retten wollte. Er stellte Monetas geöffnete Transportbox auf die Terrasse, legte noch ein wenig Futter als Köder aus und wartete. Die beiden Tiere waren äußerst gewitzt. Entweder näherten sie sich gerade soweit, dass sie nicht in Hanebüchners unmittelbare Reichweite gerieten oder sie versuchten abwech­selnd, ihn abzulenken, damit wenigstens einer von ihnen die Möglichkeit hatte, sich mit Moneta zu paaren. Hanebüchner hechtete, sprintete und robbte vorwärts und rückwärts, um einerseits der Kater habhaft zu werden und andererseits zu verhindern, dass einer von ihnen zu Moneta vordrang. Als das alles nichts half, fing Hanebüchner völlig erschöpft an, alle möglichen Katernamen zu rufen, die ihm in den Sinn kamen, aber die beiden Tiere reagierten nicht, mit welchen Namen auch immer Hanebüchner sie anzulocken versuchte. Während er vor der offenen Terrassentür verschnaufte und die Kater, die weiter laut schrien, beoach­tete, fiel ihm plötzlich auf, dass beide Tiere das selbe markante Muster auf ihren Rücken trugen. Hanebüchner überlegte fieberhaft, wo er es schon einmal gesehen hatte. Plötzlich fiel es ihm ein. Es sah aus wie das bekannte Giebelkreuz einer landesweit tätigen Bankengruppe. Weil er nichts mehr zu verlieren hatte, verfolgte Hanebüchner spontan die Idee, die ihm dazu in den Kopf schoss, und rief noch einmal nach den Tieren: „Hermann, Hermann, Hermann, komm, komm!“ und „Marcel, Marcel, Marcel, hierher!“ Das Unerwartete geschah. Die beiden Kater spitzten ihre Ohren und trabten dann seelenruhig auf Hanebüchner zu und ließen sich von ihm hochnehmen. Er nutzte die Gunst der Stunde, bugsierte die beiden Kater in Monetas Transportbox und verriegelte sie. Dann packte er die Box am Griff und zog sich ins Zimmer zurück, wo alle drei Katzen die schlimmsten Klagelaute von sich gaben, weil ihre Liebe unerfüllt blieb. Hanebüchner suchte sich die Adresse eines Tierarztes in der Nähe heraus, der Journaldienst hatte, rief aber gar nicht erst an, sondern lief gleich mit der Box in der Hand hinaus zu seinem Wagen. Moneta ließ er im Zimmer zurück. Er fuhr zu der Praxis, die er auf Anhieb fand, und klingelte. Der Tierarzt schlurfte im Trainingsanzug ein wenig ungehalten an die Tür und fragte Hanebüchner, was er denn um diese Zeit noch wolle. Dieser deutete auf seine Katzentransportkiste und sagte: „Hermann und Marcel, die Brüder mit dem Giebelkreuz, sind ständig hinter Moneta her. Ich tue kein Auge zu. Sie müssen endlich kastriert werden.“ Der Tierarzt sah Hanebüchner mit großen Augen an. Gegen ein entsprechendes Honorar ließ er sich dazu überreden, den erforderlichen Eingriff an beiden Tieren sofort vorzunehmen. Nachdem alles glatt und ohne Komplikationen vonstatten gegangen war, fuhr Hanebüchner mit seiner Transportbox zurück ins Hotel. Dort bettete er die beiden immer noch bewusstlosen Kater auf eine Decke, die er auf dem Terrassenboden ausgebreitet hatte. Er stellte noch zwei große Schalen mit seinem biologischen Katzenfutter hin und begab sich dann endlich wieder ins Bett. Weil die nunmehr herrschende Ruhe himmlisch war, schlief er sofort ein und erwachte am Morgen ausgeruht nach einem erquickenden Schlaf. Als er nach den beiden Katern sah, stellte er fest, dass sie ihre Futterschüsseln schon leer gefressen hatten. Erwartungsvoll blickten sie zu ihm auf. Als er ihnen noch einmal Nachschub brachte, trabte auch seine Katze hinter ihm her hinaus ins Freie. Hermann und Marcel hatten nur noch Augen für das Futter und würdigten Moneta keines Blickes. Später, als der Obmann des Bauernbundes, Grünkogler, Hanebüchner zum Frühstück abholte und ihn fragte, ob es wahr sei, dass er, Hanebüchner, in der Nacht seine, Grünkoglers, Kater kastrieren hätte lassen, war sich Hanebüchner plötzlich nicht mehr sicher, ob das alles eine gute Idee gewesen war.

Michael, 11. Jänner 2020

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