Larissa, die im vierten Semester Geschichte studiert, fuhr mit dem Nachtzug nach Budapest. Es war bereits das dritte Mal in relativ kurzer Zeit. Irgendetwas führte sie wiederkehrend dort hin. Immer wenn sie im Nachtzug einschlief, träumt sie den gleichen seltsamen Traum. Sie schwebte über der Donau, die ganze Stadt in einem goldenen Nebel und eine Stimme sagte deutlich: „Du wirst sie dir zurückholen“. Sie kam um 04:39 in Budapest-Keleti an und auch diesmal hatte sie die selben Bilder in der Nacht gesehen. Nicht ganz ausgeschlafen, machte sie sich zu Fuss auf den Weg Richtung Innenstadt. Dabei ging sie zuerst Richtung Donau, um dort entlang dann weiter zum Parlament zu gelangen und in der Nähe ein Café aufzusuchen. Als sie entlang der Donau spazierte, dachte sie an ihren Traum. In ihren Gedanken versunken, fielen ihr heute zum ersten Mal seltsame Schuhe direkt am Donauufer auf. Sie waren ungeordnet, verschiedene Größen, so auch Kinderschuhe, Damen- und Herrenmodelle. Sie war ganz fasziniert. Bei einem Damenschuh der Größe 37 verharrten ihre Augen. Genau mit diesem Modell schwebte sie über der Donau. Ihr Herz schlug aufgeregt und ihre Gedanken waren wirr. Was hatte das alles zu bedeuten? Sie nutzte die Suchfunktion ihres Mobiltelefons und erfuhr den grausamen Hintergrund. Die sogenannten Pfeilkreuzler hatten mit Unterstützung des dritten Reiches 1944 und 1945 mehrere zehntausend Menschen ermordet. Dabei ließen sie die Opfer, fast allesamt Juden, am Donauufer Aufstellung nehmen. Sie mussten ihre Schuhe ausziehen, anschließend wurden sie erschossen und sie fielen in die Donau. Nach einer halben Stunde ging sie weiter zum Parlament und suchte ein kleines Café auf. Sie recherchierte weiter. Intuitiv kam sie auf einen Artikel, der berichtete, dass am 08. Jänner 1945 154 Personen in letzter Sekunde gerettet werden konnten, die bereits an der Donau Aufstellung genommen hatten. Die Beteiligten Polizisten der Rettungsaktion waren unbekannt. Als sie gerade das Café verlassen wollte, kam eine ältere Dame herein. Diese erinnerte sie sofort an ihre Großmutter mütterlicherseits. Jetzt fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Ihre verstorbene Großmutter war Jüdin. Leider konnte sie ihre Eltern, die viel zu früh schon verstorben waren, nicht mehr befragen. So betrieb sie in Budapest Ahnenforschung und konnte herausfinden, dass ihre Großmutter tatsächlich in Budapest gelebt hatte und 1945 nach Amerika emigrierte. In einem Zeitungsartikel konnte sie ihren Namen und ein Bild von ihr entdecken. Sie war eine der 154 Geretteten. Sie trug auf dem Bild eine bemerkenswerte Goldkette aus 36 Goldfigürchen. Nach kurzer Recherche war ihr klar, dass es sich um jene Halskette handelt, die einer der Hauptstücke im SzépmÜvészeti Muzeum in Budapest darstellte. Diese stammte ursprünglich von der Göttin Theoris.
Nach sieben Monaten und mit Hilfe eines sehr guten ungarischen Rechtsanwalts nahm sie die Kette als rechtmäßige Erbin in Empfang. Seither träumt sie anders, wenn sie nach Budapest fährt. Die Donau sieht sie noch, der Goldnebel hat sich gelegt und eine wunderschöne Frau spricht zu ihr: „Danke, nun kann ich in Frieden und Gerechtigkeit ruhen.“.
Harald, 17. Jänner 2020.