Affenschande II

Nur widerwillig hatte Doppelbodner mit seiner französischen Freundin Pipette den Maskenball der Sparkassenangestellten besucht. Sie hatte darauf bestanden, dass er in das schwere schweißtreibende King-Kong-Kostüm schlüpfte, während sie selbst es sich leicht machte und so blieb, wie sie immer war, und die Rolle der Bühnenschauspielerin Ann Darrow übernahm, die der Riesenaffe in dem Film entführt hatte. Pipette nötigte Doppelbodner untentwegt zum halsbrecherischen Polkatanzen, obwohl ihm die engen Sehschlitze seines riesigen künstlichen Affenschädels auf der brechend vollen Tanzfläche eine sichere Orientierung kaum erlaubten. Es kam, wie es kommen musste. Während einer schnellen Mazurka flog Doppelbodner aus der Kurve und prallte mit der Stirn an eine der Marmorsäulen des ehrwürdigen Tanzpalastes. Als er die sprichwörtlichen Sterne sah, setzte er seinen Affenkopf erst einmal ab und wankte ins Sanitätszimmer, um sich dort zu erholen. Nachdem er einigermaßen wieder zu Kräften gekommen war, mischte er sich wieder ins Ballgeschehen, mied aber die Tanzfläche. Um so erstaunter war er, als er an einer der Bars plötzlich seine Freundin Pipette entdeckte, die hemmungslos mit dem glatzköpfigen Leiter ihrer Sparkassenfiliale flirtete, der in Doppelrippunterhemd und Trainingshose auf so natürliche Weise einen Proleten verkörperte, dass Doppelbodner den Verdacht hegte, dass es sich um gar keine Verkleidung handelte, sondern um den normalen Freizeitlook des Mannes. Doppelbodner beschloss, die beiden nicht gleich zur Rede zu stellen, sondern sie aus der Deckung einer künstlichen Kokospalme noch eine Weile zu beobachten, was sich für ihn in seinem King-Kong-Kostüm als die perfekte Tarnung erwies. Als der Glatzkopf Pipette immer näher auf die Pelle rückte und sie zuerst in den Nacken und auf die Wangen, und schließlich direkt auf den Mund küsste, schritt Doppelbodner endlich ein. Er sprang mit Gebrüll hinter der Palme hervor, pflanzte sich vor seiner Freundin und ihrem Verehrer auf, trommelte sich auf die Brust, schnappte Pipette und entführte sie in die Garderobe, wo er sie sofort zur Rede stellte. Es sei nicht, wie er denke, schluchzte Pipette, sie hätte alles nur aus Liebe zu ihm, Doppelbodner, getan. Der Sparkassenleiter, Franz, sei doch der einzige, der ihnen das Geld vorstrecken könne, dass sie so dringend brauchten, um sich endlich den Traum von einer eigenen kleinen Backgammon- und Scrabblefabrik verwirklichen zu können. Das nehme er ihr nicht ab, wetterte Doppelbodner unter seinem Affenkopf hervor. Andere Banken böten auch schöne Gelder, und im übrigen sei die Brettspielfabrik gar nicht sein, Doppelbodners, Traum, sondern höchstens ihr, Pipettes, unausgereiftes Hirngespinst. „Wenn du nicht willst“, heulte Pipette, „dann gründe ich die Fabrik eben mit Franz!“ Darüber war Doppelbodner so aufgebracht, dass er Pipette wortlos stehen ließ und hinausrannte in die wolkenverhangene Nacht. Weil er sofort nach Hause wollte, lief er nicht die lange, beleuchtete Allee entlang, die er für den Hinweg benutzt hatte, sondern nahm gleich die Abkürzung durch den Park, an dessen Ende sich der Tiergarten erstreckte, den Doppelbodner ebenfalls durchqueren musste. Leider hatte er in seiner Erregung nicht bedacht, dass der Zoo um diese Zeit geschlossen war. Kurzerhand stieg er über den Zaun und drang widerrechtlich in das unbeleuchte Tiergartenterrain ein. Da er nur den Hauptpfad zu benutzen gedachte, der immer nur geradeaus führte und den er in den Jahren zuvor schon hunderte Male frequentiert hatte, ignorierte er den Umstand, dass es stockdunkel war. Auf Höhe des Affenhauses hörte er plötzlich Schritte hinter sich und als er sich umsah, hörte er die Schritte auch neben sich und vor sich. Dann ging alles sehr schnell. Doppelbodner wurde von einer Vielzahl von starken Armen gepackt, die mindestens ebenso haarig waren wie die seinen. Irgendjemand schlug ihn mit einem stumpfen Gegenstand auf seinen Kopf. Doppelbodner sah zum zweiten Mal an diesem Abend Sterne, diesmal allerdings wesentlich mehr als beim letzten Mal und wesentlich länger.

Am nächsten Morgen erhielt der Zoodirektor Pankraz Viehkotter bereits in aller Frühe einen Anruf von Olaf, dem Tierpfleger, der für die Primaten zuständig war. Viehkotter war einigermaßen ungehalten über die frühe Störung und fragte, was es denn so Wichtiges gäbe, dass er schon von Dienstbeginn herausgeläutet werden müsse. „Im Affenhaus“, berichtete Olaf atemlos, „sitzt ein neuer riesiger Gorilla, der nicht zu uns gehört!“ „Ja, und?“, sagte der Zoodirektor. „Die anderen Gorillas“, rief Olaf, „halten ihn fest und lassen ihn nicht gehen!“ „Ja, und?“, wiederholte Viehkotter. „Sie zwingen ihn pausenlos zum Backgammon- und zum Scrabble-Spielen!“, rief Olaf. „Ja, und?“, fragte Viehkotter ein drittes Mal. „Der Neue verliert jede Partie!“ Da schlüpfte Viehkotter seufzend aus seinem Pyjama und in seine Kleider und machte sich auf den Weg.

Michael, 1. Februar 2020

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