Hektor, der bereits etwas in die Jahre gekommen war, hatte alles wunderbar vorbereitet. Eine Playlist mit Kuschelsongs (die Idee mit Kuschelrock und dem Plattenspieler hatte er verworfen), zwanzig rote Rosen in einer wunderbaren Vase von Lalique und drei Kondomen, was aber eher seiner Ungeschicklichkeit als seiner Ausdauer geschuldet war, alles drapiert im Schlafzimmer. Schon lange hatte er auf sie ein Auge geworfen, Kokette, eine blonde Frau jüngeren Alters mit einem besonders hübschem Lächeln. Kokette, die ihn monatelang ignoriert hatte, wurde erst auf ihn aufmerksam, als sie von einer Nachbarin erfuhr, dass Hektor trotz – so ihre Einschätzung – des alten Ferraris, ein 250 GT, viel Geld besitzt und beruflich so etwas wie ein Privatier sei. Sie hatte nach dem Wort im Internet gesucht und konnte sich mit dem Berufsbild durchaus anfreunden. Für heute Abend holte sie alles aus sich raus, vom Nachlesen in einem bekannten Knigge-Ratgeber, über die Wimperntusche bis zum eng gefassten Kleid, dass ihre Figur bestens zur Geltung brachte. Nichts dürfe dem Zufall überlassen werden, schließlich schien Hektor das Zeug zum Mann ihres Lebens zu haben. An der Eingangstür der stilsicheren Villa läutete sie und lächelte in die an linken Seite angebrachten Kamera. Hektor, der für diesen Abend das Hauspersonal beurlaubt hatte, öffnete selbst die Tür. Sie begrüßten sich mit Wangenküsschen und begaben sich in den Speisesaal, wo alles so vorbereitet war, sodass Hektor die fertigen Speisen nur mehr aus dem Backofen nehmen musste. Die Küche glich der einer Gastronomieausstattung und der Essbereich mit dem schweren Luster machte auf Kokette mächtig Eindruck. Als Hektor über seinen letzten Opernbesuch mit ihr parlierte, kam sie bereits gehörig unter Druck. Sie fand aber diesen Don Govanni durchaus beeindruckend und würde ihn, so teilte sie Hektor mit, nicht von der Bettkante stoßen, schließlich wären doch heute erfahrene Männer in Liebesdingen doch die Ausnahme. Hektor fand das Gespräch sehr anregend und befand, dass Kokette einen ungezwungenen Zugang hatte, wo doch sonst die manchmal eingeladenen Frauen meist über die Details der Kunst und Kultur referierten, was Hektor mittlerweile sehr langweilte. Kokette strich nach der Nachspeise mit der Zunge über ihre Lippen und gab ein Geräusch von sich, was Hektor darauf schließen lassen konnte, dass es ihr wohl geschmeckt hatte. Sie machten eine Hausführung, auf diese bestand Kokette, schließlich hätte sie so etwas vorher nur im Fernsehen gesehen. Nach den drei Bädern, der Bibliothek, dem Arbeitszimmer – so nannte es Hektor, wobei Kokette außer dem Schreibtisch aus Mahagoniholz keinen Hinweis auf Arbeit finden konnte, einem Weinlagerraum, dem Salon und dem Hallenbad, kamen sie in den Schlaftrakt, der aus zwei getrennten Schlafzimmern bestand. Hektor drehte das gedämpfte Licht auf und die Kuschelsongs waren aus den unsichtbaren Lautsprechern zu hören. Kokette war auf vieles vorbereitet, aber als sie „two people“ hörte und das am Touchdisplay angezeigte Cover von „Kuschelrock 1“ entdeckte, prustete sie lauthals los. Sie bekam einen Lachanfall, den Hektor selten zuvor bei einer Frau gesehen hatte. Als sie noch die Lalique-Vase, die doch sowas von „old school“ sei, entdeckte, lachte sie noch lauter. Hektor, der zuerst verdutzt war, musste plötzlich mitlachen. Bald krümmten sich beide auf dem Bett vor lachen, da sie schon fast nicht mehr stehen konnte. Als Kokette sich wieder beruhigt hatte, meinte sie, dass sie Hektor nun doch in die modernen Verführungskünste einzuführen hätte. Als erstes meinte sie, dass Hektor mit Tina Turner durchaus richtig liegen könnte, aber dann schon „private dancer“ oder noch besser „notbush city limits“. Nach vielen weiteren Tipps befand Kokette, dass dieses Schlafzimmer zur Gänze umdekoriert gehörte. Hektor, der immer noch voll der Hoffnung war, packte mitten in der Nacht mit an, aber anders als er es sich vorgestellt hatte. Bilder wurden entfernt, neue aus dem Salon im Schlafzimmer angebracht, er bohrte, brachte Dübeln in die Wand ein, wobei ihm Kokette detaillierte Anweisungen geben musste. Der Sekretär, der im Arbeitszimmer war, musste laut Kokette auch unbedingt ins Schlafzimmer. Selbst als sie die Wand mit dem großen Fenster in einem zarten Orangeton besser fand, gab Hektor nicht auf. In der Garage hatte er noch viele Farben, die zur Ausbesserung dienen sollte, aufbewahrt. So strichen sie auch noch die Wand, was zur Folge hatte, dass der Geruch die weitere Verwendung des Schlafzimmers verunmöglichte. Eine weitere Wand vor dem Schlafzimmer wurde auch noch bunt bemalt, um dieser – so Kokette – mehr „Pepp“ zu verleihen. Um vier Uhr morgens wechselten sie in den Salon, wo Kokette ihren Unmut über die Deckenbeleuchtung kundtun wollte, als Hektor mangels weiterer Geduld sie bestimmt küsste. Dass der Kristallring-Kronleuchter, auf den sie unter Hektor anschließend sehen musste, eine echte Hässlichkeit war, verhinderte ihren Höhepunkt trotzdem nicht. Am frühen Morgen verließ sie Hektor mit einer Rose, die er aus der Lalique-Vase nahm, es war schließlich Valentinstag, beide durchaus zufrieden, wobei Hektor etwas angespannt war, weil er nicht wusste, wie er seiner von einer Dienstreise in den Mittagsstunden zurückkommenden Frau erklären sollte, was der nächtliche Umbau auf sich hatte. Er stellte sich bei seinen folgenden Ausführungen so ungeschickt an, dass er auf Bestehen seiner Frau nun eine regelmäßige Psychotherapie in Anspruch zu nehmen hat, die sich mit der kreativen Kraft und der Frage „Kann Kunst heilen?“ beschäftigt.
Harald, 14. Februar 2020.