Wieder war er, Langer, in der Nacht aufgewacht, wieder der gleiche Traum. Sichtlich erregt lag er kurzatmig in seinem Bett. An die Tagträumereien hatte er sich gewohnt, aber in der Nacht hatte die Phantasie eine ganz andere Intensität. Lauter Menschen mit Masken, Frauen wie Männer, wie schön das war. Das Verdeckte, das Verborgene, das weckte seine Leidenschaft. Die Masken hatten verschiedene Farben, Muster und verdeckten Nase sowie Mund. Die Gesichter waren eingeschränkt zu erkennen, seine Aufmerksamkeit richtete sich auf die Körper, anonym, Reduktion auf das Wesentliche. Er ging im Traum auf die Straßen zwischen den maskenverhüllten Menschen durch, atmete schwer. Verhüllung, wohin das Auge reicht. Selbst in Supermärkten, in Bars, in Cafés, in öffentliche Verkehrsmittel, überall, waren sie zu sehen, keine Ausnahmen. Die Körper wirkten dadurch androider, künstlicher, anziehender. Immer aufgeregter ging er von Café zu Café, durchstreifte die Clubs, landete schließlich mit einem maskenverhängten jungen Mann im Bett. Seine Frau wusste von all dem nichts, Gottseidank. So konnte es nicht mehr weitergehen. Gleich am Morgen machte er sich Kraft seines Amtes ans Werk. Alle, wirklich alle, sollten Masken tragen müssen. Die Zeit dafür war reif, die Bevölkerung würde kaum Gegenwehr zeigen. Dann, ja dann, würde er wieder ruhig schlafen können. Der Erlass des Ministers war schnell formuliert, bereits in wenigen Tagen würde für alle Maskenpflicht bestehen. Die nächste Nacht verbrachte er immer noch sehr unruhig. Breite Bevölkerungsschichten hatten Verständnis für die Maßnahme, was er wohlwollend zur Kenntnis nahm. Die sozialen Foren blieben ruhig oder sicherten ihm Unterstützung zu. Er war schon fast der Meinung, dass seine Phantasie von Millionen geteilt wurde. Er wusste, was für die Massen anscheinend am Besten war, so lange gewartet, sie wollten ihn wieder, den starken Mann. Auch andere Länder schrieen bereits nach ihm, so einen brauchen wir auch. Heute, heute ist der große Tag. Maskenpflicht für alle, der Innenminister war angewiesen, jeglichen Verstoß rigoros zu ahnden. Dafür reichte die Exekutive nicht ganz, selbst die Einberufung des Militärs war noch zu wenig. So gründete er das Maskenteam, in dem zivile Personen die Einhaltung prüfen und Verstöße umgehend an das Ministerium samt Beweisfoto weiterleiten. In weiterer Folge könnte überhaupt eine verpflichtend zu installierende App über die Kamera des Mobiltelefons die Maskenpflicht permanent überprüfen. Endlich, endlich war er am Ziel.
Plötzlich wachte er, Korter, schweißgebadet auf. Er googelte sofort die Regierungsverantwortlichen, kein Langer. Er sah auf die Straßen, keine Masken. Cafés, Bars, alles normal besucht. Wir leben also doch in einem freien Land. Välkommen till Sverige. Willkommen in Schweden.
Harald, 3. April 2020