Krafat besuchte Areiski im Frühling 1979 das erste Mal. Im Flugzeug befanden sich seine drei Lieblingskamelhengste, die bei keiner Reise fehlten. Als er in Wien landete und sein Wüstenzelt mit angeschlossenem Stall im Stadtpark aufschlug, bemerkte er sofort die blumenbedeckte Wiese. Die Blumen schossen nur so aus der Wiese, dass Krafat zuerst etwas von Anschlag und Terror stammelte. Schnell machten ihn seine Lakaien darauf aufmerksam, dass der Frühling hier anders als in der Wüste verlief. Krafat sah vielleicht hin und wieder ein paar frische Gräser, aber ein solch farbenfrohes Blütenmeer hatte er noch nie zuvor in seinem Leben erblickt. Keine Einschlaglöcher, keine Metallsplitter, eine einzige Augenweide. Areiski fragte Krafat, wie es ihm denn in Wien gefalle. Krafat schwärmte von Wien, ließ aber die Blumen bewusst unerwähnt. Spät abends tranken er und Areiski im Stadtpark beim Johann-Strauss-Denkmal eine selten gute Flasche Rotwein aus Libyen, die Krafat mitgebracht hatte. Areiski revanchierte sich mit einem preisgekrönten Roten aus dem burgenländischen Seewinkel. Krafat lobte auch dieses Getränk und beide nahmen ihre Kopfbedeckungen ab und legten sie vor sich auf den Boden. Es dauerte nicht lange, da wurden die ersten Schillingstücke in die jeweiligen Kopfbedeckungen geworfen, da die unrasierten Herren bei den Passanten einen bemitleidenswerten Eindruck erweckten. Areiski rühmte sich, mehr Geld erhalten zu haben. Krafat konnte das nicht glauben, aber Areiski war aus seiner Sicht dreist genug, merkwürdige Papierfetzen, die er als Banknoten bezeichnete, mitzuzählen und so den Sieg für sich zu beanspruchen. Um Mitternacht öffneten sie eine Flasche Bordeaux, die Areiski mitgebracht hatte. Areiski versuchte so, Krafat zu beruhigen. Der lächelte und wollte nun bei ihm nochmals nachzählen. Als er in den Schillingmünzen wühlte, hörte Areiski etwas klimpern. Krafat meinte triumphierend, dass er wohl beim ersten Mal die Goldmünzen mit arabischer Prägung beim Zählen übersehen hätte. Diese hätten wohl den Wert mehrerer Papierfetzen, weshalb er ihren kleinen Wettstreit gewonnen hätte. Die vierte Flasche, die Krafat auf seiner vorletzten Reise als Geschenk erhalten hatte, kam aus Kalifornien. Areiski fand beim nochmaligen Auszählen weitere große Papierfetzen in seiner Kopfbedeckung, die er mit 1.000 Schillingstücken gleichsetzte. Es wurde im Laufe der Nacht noch oft auf jeder Seite ausgezählt und am Ende befand sich ein stattliches Vermögen in beiden Hüten. Da der Wein aus Kalifornien ebenfalls schon fast leer war, begaben sie sich im Morgengrauen leicht wankend auf den Heimweg und vergaßen ihre Kopfbedeckungen samt Inhalt. Als sie beim Zelt von Krafat ankamen, verabschiedeten sie sich von einander. Krafat zog sich ins Zelt zurück und Areiski setzte sein Weg nun allein fort. Er war sich sicher, dass Krafat sofort einschlafen würde und entwendete deshalb die drei Kamele, um schneller zu seiner Villa in der Armbrustergasse zu gelangen. Nachdem Areiski auf dem Leittier reitend in den 19. Bezirk aufgebrochen war, schlich Krafat hinten aus dem Zelt und grub mit einer kleinen Schaufel sämtliche Blumen aus den Beeten und verstaute sie in den leeren Kamelfutterkisten. Am nächsten Tag trafen sie sich nochmals am Stadtpark, um ihre mittlerweile leeren Kopfbedeckungen zurückzuholen. Areiski sprach seine Verwunderung über die fehlenden Blumen aus, während Krafat seine drei Kamele für vermisst erklärte. Beide kamen zur Übereinkunft, dass die Kamele wohl zuerst die Blumen gefressen und sich danach auf den Weg nach Schönbrunn zu den Kameldamen gemacht hatten. Mit dieser Version konnten beide gut leben und es entstand eine lebenslange Männerfreundschaft. Die leerstehende Villa direkt neben Areiskis Domizil wurde kurz darauf von einem stadtbekannten Obdachlosen gekauft und bar bezahlt, der Areiski im Vertrauen etwas von prallgefüllten Kopfbedeckungen erzählte, was sich Areiski seiner Frau gegenüber offiziell nie erklären konnte.
Michael und Harald, 15. April 2020.
Mal wieder: wohlig irritiert gewesen nach der Lektüre! 😅
Anti-coronale Donnerstagsgrüße! VVN
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