Als Kind lernte er mit vier Jahren zu lesen. Mit sechs Jahren konnte er sich schon an Diskussionen mit Erwachsenen beteiligen. Seine Eltern wurde schnell klar, dass ihr Sohn kein Held des Alltags war. Der Alltag war ihm von Kindesbeinen an fremd. Sein Taschengeld investierte er in Kleidung, in Schmuck und Literatur. Er wurde zum Außenseiter, gehörte nie zum Team, wusste nicht, wo ihn sein Weg hinführen sollte, lebte von Gelegenheitsjobs, wechselte oft den Beruf, studierte ohne Abschluss, für alle ein Taugenichts. Nur seine Eltern standen immer hinter ihm und nannten ihn liebevoll „Unser Dandy“. Der Vater unterstützte ihn immer wieder finanziell und so kam der Dandy über die Runden. Er war bereits über 40 Jahre alt und Dandys gab es heutzutage so gut wie keine mehr. An einem Abend in einem bekannten Stadtcafé lernte er um kurz vor Mitternacht einen Verleger kennen. Dieser leitete einen kleinen, altmodischen Verlag. Er unterhielt sich mit ihm mit viel – wie die Engländer sagen würden – „wit“. Um zwei Uhr morgen bereits waren sie sich einig, dass seine Lebensgeschichte in ein Buch „Der letzte Dandy“ gehört, nicht ganz autobiographisch, weil das wäre eines Dandys nicht würdig. Da er sonst wieder mal nur dem Müßiggang nachging, konnte der Dandy dem viel abgewinnen und begann zu schreiben. Die nächsten Wochen vergingen wie im Flug und immer nachts arbeitet er am Manuskript. Nach 9 Wochen und langen Nächten hatte er die Lust verloren und gab das leider nur halbfertige Manuskript beim Verleger ab. Natürlich sendete er kein E-Mail, sondern druckte das Ganze auf feinstes rotes Colors Papier. Eigentlich fehlte der ganze Schluss, es hatte etwas Unvollendetes, riss abrupt ab, war ein Fragezeichen, gab keine Antwort, völlig unklar. Der Verleger und sein Lektor hatten größte Mühe, das Werk in ein druckbares Format zu bringen. Das Ende, das ja keines war, wurde diskutiert. Da der Lektor und der Verleger sich keinen Reim darauf machen konnten, trafen sie sich mit dem Dandy um 23.00 Uhr im selben Café, wo die Idee seinen Ausgang nahm. Dieser führte geistreich aus, dass das Ende eines Dandys unwürdig sei, ja geradezu eine Widersprüchlichkeit, eine Unvereinbarkeit. Der Verleger und der Lektor sahen sich nach einer Stunde ratlos an und beschlossen das Werk so zu veröffentlichen. Die Auflage sollte anfangs 1.000 Stück betragen, der Preis wurde um ein Viertel weniger angesetzt, schließlich fehlte ja etwas. Der Verlag bewarb das Buch zaghaft in einer Lokalzeitung. Es vergingen zuerst Tage und kein Exemplar wechselte den Besitzer. Der Verleger rief entnervt den Dandy an und ließ ihn die Verkaufszahlen schätzen, was naturgemäß nicht gelang. Der Dandy beruhigte den Verleger und wusste was zu tun war. Er erwähnte in seinen Kreisen in Gesprächen das Buch beiläufig, meist nur im Nebensatz, kaum hörbar, unauffällig, das erste Buch ohne Ende. Nach zwei weiteren Wochen rief der Verleger an und meinte, dass er die gesamte Auflage verkauft hätte und nun eine zweite Auflage mit 10.000 Stück plant. Der Preis würde dabei auch angepasst und lag nunmehr um ein Viertel über den normalen Preis eines Buches dieses Formats. Bei der dritten Auflage war dem Verleger bereits klar, dass das ein Bestseller einer in den letzten Jahren nicht gekannten Dimension war. Der Dandy erwähnte den Erfolg nicht, viele hielten ihn immer noch für einen Taugenichts, arbeitete nicht, war nicht fleißig, glaubte nicht an moderne Lebenskonzepte. Seine Eltern, die noch rüstig genug waren, wurden oft auf ihren missratenen Sohn angesprochen, lächelten dabei, gaben den Gerüchten keinen Wert, glaubten ja immer an ihn. Als sie am Muttertag mit ihrem Sohn bei einem Glas Bier, ein Löwenbräu Lager, das im Jahre 1937 beim Absturz der Hindenburg unversehrt gefunden wurde, anstoßen und sich auf der eigenen Yacht mit schönen 35 Knoten dem Hafen von St. Tropez nähern, um beim Café de Paris einen Espresso zu trinken, erahnen alle drei, was Lebenskunst wirklich bedeutet.
Harald, 08. Mai 2020