Resi und Rosi, die mit ihrem Cabrio in den Sommerferien Transsilvanien bereisten und sich an ihren jeweiligen Etappenzielen vor Ort private Übernachtungsquartiere suchten, wurden einige Tage nach Beginn ihrer Fahrt auf einem längeren menschenleeren Streckenabschnitt im Wald von einem Wetterumschwung überrascht. Sie schafften es gerade noch in den Innenhof eines heruntergekommenen Schlosses, wo sie unter einem hölzernen Dachvorsprung parkten. Minuten später setzte ein Starkregen ein. Rosi schlug am Tor den Ring des Türklopfers, der in einer metallenen Fratze zwischen zwei riesigen Fangzähnen steckte, gegen den Knopf. Eine Klappe ging auf, durch die ein Greis seinen Kopf herausstreckte und Resi und Rosi nach ihren Wünschen fragte. Sie baten um ein Quartier für die kommende Nacht. Das könne er ihnen gern gewähren, sagte der Alte und drückte die Tür auf. Er müsse sie allerdings darauf hinweisen, dass im gesamten Schloss nachts Fledermäuse herumflögen, die aber harmlos seien. Da es weiterhin in Strömen regnete, willigten Resi und Rosi ein. Sie liefen noch einmal zu ihrem Wagen, um ihr Gepäck zu holen. Resi gestand Rosi, dass sie zur Sicherheit einen Kranz Knoblauch und einen mit silbernen Kugeln geladenen Revolver im Handschuhfach versteckt hätte. Wenn sie, Rosi, es für klug hielte, könnten sie beides ins Schloss mitnehmen. Rosi hielt es für einen ausgemachten Unfug. Sie ließen Knoblauch und Revolver folglich im Auto zurück. Die Kammer, die der Alte ihnen zuwies, machte einen düsteren Eindruck. Resi und Rosi ließen sich auf das schmale Doppelbett fallen und löschten bald das Licht. Während Rosi bald einschlief, konnte Resi kein Auge zutun. Draußen prasselte der Regen. Im Zimmer machte Resi bald ein zuerst noch zaghaftes Geflatter aus, das sich bald verstärkte. Schließlich schwirrten so viele Fledermäuse durch den Raum, dass Resi es mit der Angst zu tun bekam und lieber draußen im Cabrio übernachten wollte als in der unheimlichen Kammer. Sie ließ Rosi schlafen und schlich hinaus zu Tor, das sie nur mit Mühe öffnen konnte und das sie einen Spalt breit offen stehen ließ. Sie stieg ins Auto und betätigte von innen die Verriegelung. Endlich fiel auch sie in einen leichten Schlaf, aus dem sie irgendwann hochfuhr, als sie ein Geräusch bemerkte, das ihr gar nicht gefiel. Von außen schien jemand das Stoffdach des Cabrios mit einem Messer aufschlitzen zu wollen. Resi schrie um Hilfe, doch half nichts. Als sie sah, wie das Messer ins Wageninnere fuhr, entsicherte sie den Revolver und feuerte die sechs Silberkugeln durchs Stoffdach in die Richtung ab, in der sie den Angreifer vermutete. Als sich danach nichts mehr regte, ließ das Seitenfenster einen Spalt herunter und warf mehrere Knollen Knoblauch hinaus. Danach herrschte Ruhe. Auch der Regen hatte in der Zwischenzeit soweit nachgelassen, dass Resi wieder einnickte. Als sie am Morgen aufwachte, schien wieder die Sonne. Sie lief zurück in die Kammer, um nach Rosi zu sehen. Sie fand sie regungslos im Bett. Als Resi ihre Freundin berührte, bemerkte sie, dass Rosi eiskalt war. Sie war, wie Resi feststellte, weiß wie Wachs und völlig blutleer. Am Hals entdeckte sie endlich zwei Bisswunden. Als sie begriff, dass ihre Freundin tot war, lief sie voller Panik durchs Schloss und versuchte den Alten zu finden, der aber verschwunden war. Sie durchsuchte daraufhin das gesamte Anwesen vom Dachboden bis zum Keller, stieß dabei aber weder auf den Schlossherrn noch auf eine einzige Fledermaus. Da erfasste Resi eine solche Furcht, dass sie schreiend zum Auto lief, startete und davonfuhr. Sie raste mit überhöhter Geschwindigkeit zurück in die Richtung, aus der sie am Tag davor gekommen waren, bis sie ein Schild entdeckte, das ihr den Weg zu einer Polizeistation wies. Sie hielt an, als sie ihr Ziel gefunden hatte, sprang aus dem Cabrio und atmete erst einmal tief durch, ehe sie sich eine Geschichte zurechtlegte, die sie den Beamten auftischen wollte. Mit der Wahrheit, von der sie selbst nur einen Bruchteil kannte, wollte sie es gar nicht erst versuchen.
Michael, 19. Juni 2020.