Das Board oder warum Erfahrung doch zählt.

Früher hatte ich es als Bürgermeister einer Flachgauer Gemeinde leicht. Unternehmer, schwarz, konservativ, situativ im Halbverborgenen auch liberal, über 50, politischer Hoffnungsträger in der Landespartei, leichter Bauchansatz. Leider hat sich das in den letzten Jahren massiv geändert. Immer noch Unternehmer, aber über Nacht andere Farbe, erzkonservativ war plötzlich gefragt, gehörte zum alten Eisen, nicht zukunftsfähig. In der Landespartei nur mehr gleich aussehende Typen, viel jünger als ich, brabbeln von message control, zukunftsfit, Team und Vertrauensvorschuss. Das gilt anscheinend nicht für mich, zumindest fühle ich das nicht. Ich rege mich daher manchmal im Parteivorstand auf. Ich glaube, sie haben mich nur deswegen eingeladen, um mich zu beruhigen. Nein, ich wäre doch Teil des jetzt sehr verjüngten Teams und die experience zählt doch bei uns auch noch, irgendwie halt. Ich sagte zu, ohne zu wissen, auf was ich mich da eingelassen hatte. Jeden Sonntag um 10.00 Uhr treffen sich die Parteifreunde, darunter nicht wenige Bürgermeisterkollegen am Mattsee zum Stand up Paddeln. Ich hatte von dieser Sportart schon mal gehört und es schaute ja nicht allzu schwer aus. Die Einladung wurde am Dienstag ausgesprochen und am Sonntag wäre ich bereits herzlich willkommen. Am gleichen Tag kaufte ich mir ein Stand-Up-Paddle-Board in Türkis, um den Parteikollegen klar zu machen, dass ich sehr wohl mit der Zeit gehen würde. An einem kleinen Weiher wollte ich es gleich ausprobieren, konnte mich aber keine Minute auf diesem blöden Brett halten. Ich musste also doch bis Sonntag trainieren, um mich nicht völlig lächerlich zu machen. Das gelang mir dann zwar doch auf andere Weise, dazu aber später. Da ich einen gewissen Bekanntheitsgrad habe, beschloss ich in der Nacht zu trainieren. So fuhr ich um 02.30 an den Mattsee und begann zu paddeln. Ich dachte es wäre besser, wenn ich den See schon mit dem Stand-Up-Paddle-Board erkundete, eine Art Heimvorteil. Das Hineinfallen war zwar in der Nacht lauter zu hören, aber es könnte sich doch auch um einen größeren Fisch auf Beutezug handeln. Ich erregte jedenfalls kein Aufsehen. Die erste Nacht verbrachte ich mehr im Wasser als auf dem Board. Die nächste Nacht war schon ausgeglichener und zwei weitere Nächte später hielt ich mich richtig gut auf dem Brett, wurde sogar schon schneller. In der Nacht auf Sonntag fühlte ich mich sehr sicher, glitt schnell mit dem Brett von einem Ende des Ufers zum anderen, genoss sogar schon diese Art der körperlichen Betätigung. Es machte richtig Spaß, sodass ich die Zeit übersah. Es war 5.00 Uhr als ich den Parkplatz, an dem ich mein Auto abgestellt hatte, am Ufer erspähte. Da mich nächtens keiner sieht, verzichtete ich auf jegliche Textilien in den lauen Sommernächten. Ich paddelte nun schnellst möglich, da es bereits leicht hell wurde. Ganz darauf konzentriert, sah ich erst im letzten Moment im Bereich des Ufers eine zwanzigköpfige Frauengruppe auf ihren Stand-Up-Paddel-Boards. Ich blieb erstarrt am Brett stehen und glitt in wenig Abstand wie eine Statue mitten durch diese Gruppe hindurch. Ich spürte die Blicke und hoffte nur, dass das Morgengrauen meine Gesichtszüge zumindest noch unkenntlich gemacht hatte. Am Ufer angekommen, hörte ich die ganze Gruppe losprusten. Ich lief zum Auto, sah aber trotzdem das Plakat: „Yoga am See auf Stand-up-Paddle-Boards. Jeden Sonntag um 04.30 Uhr.“. Ich fuhr nach Hause, frühstückte, vergaß das Missgeschick und traf pünktlich um 10.00 Uhr siegesbewusst ein. Bevor ich die Gruppe der Partei erreichte, hörte ich sie schon tuscheln. Mir schwante Böses. Mit „Hallo“ begrüßten sie mich, gleich darauf folgte „Hallo Shorty“. Mir war klar, dass sie damit nicht meinten, ich könnte noch Bundeskanzler werden. „Machst du jetzt auch Yoga?“, fragte der nächste. „FKK-Yoga!“, ergänzte ein Anderer. Mir reichte es und ich fragte sie, ob wir nun endlich paddeln könnten, statt nur zu reden. „Wenn du deine Badehose dabei hast, kein Problem“, meinte der Jüngste der Gruppe. Wieder Gelächter, egal wir waren jetzt mit unseren Boards am See. Ein enger Vertrauter der Regierung startete gleich einen Wettbewerb und meinte wer als Erster am anderen Ufer wäre. Ich rechnete mir Chancen aus, aber diese junge Typen waren viel zu schnell. Sie paddelten wie die Geistesgestörten, muskulös, braungebrannt und lächelten dabei auch noch. Als Vorletzter kam ich einige Zeit später ausgelaugt auch an. Sie meinten, da wäre wohl noch mehr Übung nötig, nächtens, um dann wieder zu lachen. Nach einigen weiteren Bewerben, die für mich nicht besser ausgingen, konnten wir endlich Mittagessen gehen. Sie betraten das Restaurant mit dem typischen Siegerlächeln, schlimmer als Popstars, arrogant, waren unfreundlich zur Bedienung und am guten Essen hatten sie auch noch etwas auszusetzen. Mir wurde es zu blöd und ich stand auf, um zu gehen, als ich am Nachbartisch zwei jüngere, sehr hübsche Damen sitzen sah, die mir zuzwinkerten. Ich drehte mich um, weil vermutlich die Parteikollegen gemeint waren. Dem war aber nicht so und die Beiden kamen zu mir. Sie flüsterten mir etwas ins Ohr, ich lächelte und nickte. Wir unterhielten uns nur an paar Minuten und dann ging ich mit den Beiden, eine an der linken und eine an der rechten Seite hinaus. Kurz bevor ich den Ausgang erreichte, drehte ich mich dann doch noch zum Tisch der Parteikollegen um und lies sie wissen, dass ich, so leid es mir tue, ab sofort am Sonntag nicht mehr dabei sein kann, da ich Yoga am See machen würde und die beiden Yogalehrerinnen mir davor nächtens noch ein paar Privatstunden geben wollten. Obwohl ich nicht mehr zu den Parteikollegen hinschaute, spürte ich, wie ihre Münder offen stehen blieben und ich fügte noch hinzu, dass das der Unterschied zwischen experience und Erfahrung ist. Am nächsten Tag besprühte ich mein Board bunt. Das war ich und die Anderen sollen doch denken, was sie wollen.

Harald, 7. August 2020

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