Der Sommernachtsbaum

Es war alles so verwirrend. Dieses Shakespeare-Stück verstand doch wirklich keiner. Da saßen sie wieder, im Theater, er verlor jeglichen Handlungsstrang im zweiten Akt, aber was soll’s, eine der Elfen hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Das Programmheft während der Vorstellung durchgeblättert, ein Rascheln, mit dem Mobiltelefon auch noch Licht gemacht, um etwas zu sehen. Gottseidank in der Loge, so erntete er nur wenige böse Blicke. Seine Frau heute verhindert, daher mit einem Freund im Theater, sonst wäre solches ungebührliches Verhalten bereits unterbunden gewesen. Die Namen der Elfen waren mittlerweile eingedeutscht, so in dem kleinen Heftchen zu lesen. Motte, Motte war eine der Elfen, schön, eloquent, im Programmheft schon ein Hingucker. Auf der Bühne quirlig, ausdrucksstark, ganz klar durch das Opernglas zu beobachten. Sein Freund wunderte sich schon etwas, da er mit dem Opernglas von einer Richtung zur anderen wanderte, ohne den Hauptfiguren zu folgen. Das Stück sei großartig, meinte er schon in der Pause. Das Spiel der Elfen, insbesondere die Schauspielerin, die die Rolle der Motte innehatte, wäre eine unglaubliche Bereicherung. Die Elfen würden fast die Handlung ersetzen, steigerte er sich weiter hinein. Der Freund, ein Kunstkenner, versuchte das Gespräch wieder auf die wesentlichen Figuren zu bringen. Aber bereits im dritten Satz kam er wieder zu Motte zurück, die eigentlich für eine der Hauptrollen besser geeignet wäre. Beim Schlussapplaus schien er generell alles andere zu vergessen. Während alle – inklusive seinem Freund – den Hauptdarstellern tosenden Applaus gaben, blieb er regungslos stehen. Erst als seine Elfen zu sehen waren, klatschte er frenetisch und schrie „Bravo, Bravo.“. Als die Schauspieler und Schauspielerinnen das zweite Mal die Bühne betraten, das gleiche Spiel, dieses Mal rief er noch lauter „Bravo, Bravo Motte“. Die Blicke der Nachbarlogen waren zu diesem Zeitpunkt bereits befremdlich. Er war äußerst froh, dass es sich um das Premierenabo handelte. Die Karten sind zwar teuer, dafür kann der Abonnent bei der anschließenden Premierenfeier teilnehmen. Sein Freund verabschiedete sich, da er angeblich morgen einen frühen Termin hätte. Der wahre Grund dürfte gewesen sein, dass er bereits vermutete, dass sein Verhalten nicht gut ausgehen konnte. Es dauerte mehr als eine Dreiviertelstunde bis auch die Schauspielerinnen und Schauspieler eintrafen. Um die Hauptfiguren bildete sich schnell eine Traube von Menschen, die über das Gebotene fachsimpelten. Er hatte dazu nichts beizutragen, verstand das Stück sowieso nicht wirklich. Motte, wo war Motte, war sein Gedanke. Endlich entdeckte er sie mit einer anderen Elfe mit einem Champagnerglas in der Hand. „Nicht doch, nicht doch.“, sprach er sie an. Motte schaute kurz entgeistert und er führte fort: „Wenn Champagner, dann doch Dom-Pérignon.“. Sie lächelte und interessierte sich für den Mann mit den grauen Haaren. Sie tranken dann doch den vorhandenen Champagner und er lobte ihre schauspielerische Leistung in höchsten Maße. Sie glaubte sogar, er würde was davon verstehen, so legte er sich ins Zeug. Die Premierenparty neigte sich dem Ende zu und einige würden die Hotelbar auf der anderen Straßenseite aufsuchen. Motte wollte schon heimgehen, als er sie überredete, da dort besagter Champagner verfügbar wäre. Eine Flasche später küsste er sie und sie war nicht nur eine gute Schauspielerin. Ein Gentlemen bringt die Dame natürlich nach Hause, der Hintergedanke klar erkennbar, die Schauspielerin fand daran auch großen Gefallen. In der Parkgarage öffnete er ihr die Tür des Maybach S 650 und Motte war beeindruckt. Champagnertrunken und von Komplimenten überseht glaubte sie bereits an die große Schauspielkarriere. Er hatte bereits in der Parkgarage große Mühe, die Ausfahrt zu finden und das Ticket in den aus seiner Sicht viel zu schmalen Schlitz zu geben. Nach einigen Minuten gelang es, vielleicht lag es auch daran, dass ihn das wiederholte Küssen doch zu viel ablenkte. Kaum aus der Stadt draußen, beschleunigte er und genoss wieder das Gefühl der Geschwindigkeit. Sie hauchte ihm etwas ins Ohr und berührte seinen Oberschenkel, als er just in jener Kurve die Beherrschung über das Fahrzeug verlor, in der er den alten Maybach in den Maibach versenkt hatte. Diesmal würde er das verhindern, schließlich lernt Mann aus Erfahrung. Er riss das Steuer stark nach rechts, fing den Maybach nochmals ab, kam letztendlich aber dann doch von der Straße ab und touchierte heftig einen Baum. Als Motte meinte, ihr wäre nichts passiert und das letzte Stück könnte sie auch zu Fuß gehen, war ihm doch etwas schlecht. Er könnte sie jetzt nicht mehr begleiten und müsse wohl die Rettung rufen. Diese kam wider Erwarten ohne Polizei und er wurde ins Krankenhaus gebracht. Als seine Frau in den frühen Morgenstunden bei ihm eintraf, schwafelte er irgendetwas von Elfen. Da wusste sie, dass seine Gehirnerschütterung doch etwas heftiger ausgefallen war. Am nächsten Tag konnten aber beide wieder lachen, als er meinte, dass wohl aus dem Sommernachtstraum ein Sommernachtsbaum geworden war. Da Männer – so hatte er in einer Studie gelesen – in einem Bentley deutlich attraktiver wirken, beschloss er, gleich die Automarke zu wechseln. Vielleicht bringt ihm diese dann mehr Glück.

Harald, 21. August 2020

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