Sumoringer

Als ich Wampeck nach ein paar Wochen zum ersten Mal wieder sah, kam er mir noch voluminöser vor als bei unserer letzten Begegnung. „Du hast zugelegt, stimmt’s?“, sprach ich ihn gleich unverblümt auf seine Leibesfülle an. „Kann schon sein“, knurrte er und blickte zur Sicherheit an sich hinunter, um zu prüfen, ob ich recht hatte. „Und was ist es diesmal, was dir so gut schmeckt?“, rief ich. „Lass mich raten! Es ist wie immer der Gerstensaft? Nein? Sind es doch die fetten Stücke vom Borstenvieh?“ „Das geht dich gar nichts an, August!“, erwiderte Wampeck erbost. „Kehr du lieber vor deiner eigenen Tür!“ „Na, deine Bruttore­gistertonnen bringe ich in hundert Jahren nicht auf die Waage!“, sagte ich. „Aber du könntest Kapital schlagen aus deiner Fülligkeit.“ „Echt?“, fragte Wampeck un­gläubig. „Wie soll das denn gehen?“ „Ganz einfach“, erklärte ich. „In Japan su­chen sie immer wieder Sumoringer. Je fetter, desto besser, habe ich gehört. Wäre das nichts für dich? Du machst zuerst eine Proteinkur, steigst dann ins Flugzeug und wuchtest drüben reihenweise die Brüder von der Matte und lässt dich fürst­lich dafür honorieren.“ Wampeck sah mich mit wachsendem Interesse an. „Klar“, sagte ich. „Du hast Masse und Grips. Du müsstest das Ding eigentlich schaukeln. Ich könnte dich managen.“ „Was genau willst du da tun?“, fragte Wampeck mit einem letzten Anflug von Misstrauen. „Ganz einfach“, rief ich. „Ich beschaffe dir die Proteine und besorg dir ein Flugticket nach Japan.“ Mein Angebot stellte eine solche Verlockung für Wampeck dar, dass er einwilligte. Ich ließ mir noch seine Bankverbindung von ihm geben und bestellte dann auf seine Kosten einen Last­wagen voller Eiweißpräparate. Ich sagte ihm, dass er möglichst viel vom dem Zeug zu sich nehmen sollte, am besten fünfmal am Tag. Wampeck hielt sich ein paar Wochen lang exakt an meine Vorgaben und stopfte sich mit den Proteinen voll, als gäbe es kein Morgen. Als er bei einer abendlichen Gewichtskontrolle die magische 150er Marke überschritten hatte, hielt ich ihm ein Flugticket nach Osaka unter die Nase. „Morgen fliegst du“, rief ich enthusiastisch. „Du wirst sie alle umhauen!“ In der Morgendämmerung stand Wampeck zur vereinbarten Zeit mit gepacktem Koffer bereit. Ich chauffierte ihn mit seinem Lada zum Flughafen und wünschte ihm viel Glück. „Was auch immer passiert“, rief ich, „gib nie auf und glaub an dich! Ich hole dich dann wieder ab, wenn du zurückkommst.“ Dann schob ich ihn zum Check-In, verabschiedete mich und fuhr wieder nach Hause. Zwei Tage später erhielt ich mitten in das Nacht einen Anruf. Es war Wampeck. „Was ist los?“, rief ich. „Warum rufst du mich in der Geisterstunde an? Hast du schon einen Kampf gewonnen?“ „Ich bin schon wieder zurück“, schnaubte Wampeck ins Telefon. „Ich bin am Flughafen, genau dort, wo du mich abgesetzt hast. Alles ist schief gelaufen. Als erstes musste ich ein zweites Ticket kaufen, weil sie mich sonst gar nicht mitgenommen hätten, weil ich so dick bin. Dann habe ich mir während der Turbulenzen auf dem Flug das Kreuz verrissen. Das Schlimmste aber ist, dass es in Osaka gar keine Sumo-Ringer gibt. Ich musste also gleich wieder heimfliegen.“ „Das tut mir aufrichtig leid, Wampeck“, rief ich ins Telefon. „Ich würde dich ja gern abholen, bin aber leider viel zu müde. Also, nimm dir ein Taxi und komm nach Hause! Den Rest besprechen wir morgen. Gute Nacht!“ Er war so verblüfft, dass er sofort auflegte. Als er wenige Minuten später noch einmal anrief, nahm ich das Gespräch nicht entgegen, weil ich mich vor lauter Lachen auf dem Boden wälzen musste, bis es wehtat.

Michael, 21. August 2020

2 Kommentare zu „Sumoringer

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