Morgendämmerung

Es war ruhig. Ein leichter Nebel lag über den Wiesen und Feldern, es war kühl, ein untrügliches Zeichen für den Herbst. Er wachte um 05.10 auf und hatte die Nacht durchgeschlafen. Seine ersten Schritte führten ihnnach draußen, eine Jacke und Schuhe angezogen, die kurze Pyjama-Hose passte. Schließlich wollte er den Herbst fühlen, in seiner Frische und zugleich seiner Vergänglichkeit. Gestern am Abend hatte er zwei Igel bei Einbruch der Dunkelheit beobachtet, die unter dem Vogelhaus nach Futter suchten, vielleicht ein Pärchen. Gerade eben huschten zwei Eichhörnchen an ihm vorbei, um anschließend flink einen Baum zu erklimmen. Er tauchte in Erinnerungen. Sie waren glücklich gewesen, über Jahre, Jahrzehnte, dann auseinander gelebt, keine Worte gefunden, dafür sie einen Jüngeren. Er war gekränkt, lange Zeit, hatte keine Affären, nie ein Interesse an jemand Anderen, geschweige denn Jüngeren, lernte dann das Alleinsein kennen, die Einsamkeit konnte er überwinden. Jetzt im Herbst schien er nur mehr Pärchen zu sehen, in der Tierwelt, sogar die die beiden an ihm vorbei gekommenen, jungen Läufer hatten das Gleiche an und wirkten verliebt. In einem kleinen Ort war es schwierig, jemanden zu finden, der zu einem passt. Er kam nicht mehr viel herum, pflegte Haus und Garten, die beide eigentlich viel zu groß waren. Seine ehemalige Gattin zog in die Stadt, der Neue hatte ein Penthouse und war Anwalt oder so was ähnliches. Er interessierte sich verständlicherweise nicht eingehend dafür. Die Kinder erwachsen, manchmal besuchten sie ihn, hatten ihre eigenen Pläne und wenig Zeit. Er bog in den Wald ab, ein kleiner Weg führte zu einer Scheune, von dort aus gelangte er wenige Minuten danach wieder zur Straße. Er genoss die Stille, die Ruhe, er mochte das Alleinsein. Eine neue Beziehung würde nur stören, seine Eigenheiten müsste er ändern, Rechenschaft darüber ablegen, wenn er für sich sein wollte. Unterhaltung, interessante Leute treffen, das schon. Auf seine Weise war er glücklich, was vielleicht auch mit dem Alter zu tun hatte. Er hatte sich mit vielem abgefunden, plante keine großen Sprünge, Zufriedenheit stellte sich ein. Er kam nun an der Straße an, von der er nur mehr wenige Minuten zurück zu seinem Haus benötigte. Plötzlich schreckte er auf. Ein Hund bellte ihn lauthals an. Er sah, dass dieser an der Leine war und konnte sich schnell wieder beruhigen. „Guten Morgen, entschuldigen sie, der Hund und ich haben sie nicht aus dem Wald kommen sehen und sind beide wohl erschrocken.“ Er sah sie an, sie war um einiges jünger als er, hübsch auf den ersten Blick, wirkte munter, fröhlich. „Guten Morgen, kein Problem, das ist ein hübscher Hund. Wirkt aufgeweckt, gut gelaunt und hat sichtlich Freude.“, antwortete er und war sich selbst nicht klar, ob er jetzt wirklich den Hund oder die Besitzerin meinte. Im Gespräch fand er heraus, dass sie nicht von hier war, sondern nur ihre Schwester besuchte. Ein Zufall, dass er sie hier traf. Sie sprachen über viele Dinge und erst nach einer halben Stunde verabschiedeten sie sich, aber nicht ohne vorher auszumachen, in welchem Café sie sich am Nachmittag wieder treffen würden. Er ging gedankenverloren nach Hause und als er die Haustür öffnete, dämmerte es ihm an diesem Morgen, dass er vielleicht doch bereit ist, sein Alleinsein aufzugeben.

Harald, 4. September 2020

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