Sie sahen die Zukunft klar voraus. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit wussten nun alle, was passieren würde: Digitalisierung. Diese schritt unaufhörlich in alle Bereiche fort. Der Konsument wurde gläsern und auf subtile Weise zum Kaufen verführt, verwöhnt wie ein kleines Kind bekam er seine Wünsche per Klick erfüllt. Grünes Wachstum würde die Erde überziehen. Kaum fiel ein digitales System aus, begannen alle zu meckern, zu schreien, ein Wahnsinn, was sollte jemand auch ohne soziales Netzwerk oder Internet machen. Kaum einer durchblickte diese kleine Welt und hastete von Like zu Like, alles nur für Sekunden, maximal Minuten. Endgültige Degeneration, doch dann kam doch die Hoffnung.
Unbeugsame, mit der Natur verbundene Menschen, die sich freiwillig einschränken, weniger oder fast gar nicht arbeiten, zumindest nicht am Tag. In der Nacht schreiben sie Texte, Texte vom Widerstand, von der Naivität der Technikgläubigkeit, eine neue Bewegung entsteht, der Lit-Punk. Mit dem haben sie nicht gerechnet, die Digitalisierer. Sie interessierten sich nie für andere, nur für ihr Wohlergehen, großteils pure Egoisten. Der Lit-Punk schreibt auch für sich und doch ändert er so viel. Nachbarn der Lit-Punks sehen Menschen, die mit wenig auskommen, die sich per Fahrrad fortbewegen, auch im Urlaub, Tinyhäuser bewohnen, im kleinen Garten dann doch arbeiten, Gemüse selbst anbauen, lesen, sich austauschen, offline zusammenarbeiten. Sie sehen plötzlich, was Glück wirklich bedeutet. Die Einschränkung, die die Digitalisierer so fürchten, das Zurückgehen, die Einfachheit, scheint dafür verantwortlich sein. Anfangs hatten die Lit-Punker selbst zwar auch noch WordPress benutzt, aber das letzte mehr als katastrophale Zwangsupdate hatte sie von der Plattform verschwinden lassen.
Er hörte schon einmal von dieser neuen Lit-Punk-Bewegung. Unsicher, ja er war unsicher, ob sein Leben tatsächlich nur oberflächig eine Zufriedenheit herstellte. Die Fotos vom letzten Urlaub hatte er gerade hochgeladen, als sein Rechner ein Update auf der aktuellen Windows-Version verlangte. Bei einer schnellen Internet-Verbindung sollte das zu bewerkstelligen sein. Nach zwanzig Sekunden wurde er jedoch gezwungen, ein Benutzerkonto anzulegen. Er gab brav seinen Namen ein. Dann wurde er nach Geburtsdatum, Mobilnummer zu Verifizierung des Kontos, Adresse, Geschlecht und Alter gefragt. Als er seine Haarfarbe eingeben musste, tippte er bereits, brach dann bei den letzten zwei Buchstaben abrupt ab. Er sah im anderen Fenster noch die Urlaubsfotos, als er den Ausschaltknopf so lange drückte, bis sich der Rechner verabschiedete. Er war Programmierer eines großen Konzerns und wusste nun was zu tun war. Nach fünf Monaten in der Selbständigkeit hielt er einen Vortrag bei einem Lit-Punk treffen. Die Anwesenden waren begeistert. Ein einfacher Rechner, intuitive leicht erlernbare Prgramme für Mail, Word, Tabellen, eine Internetsuchmaschine mit drei Buttons, die nie Spuren hinterlässt und eine Musik-App. Das beste daran war, dass für die nächsten zwanzig Jahre keine Updates vorgesehen waren. In Lit-Punk-Kreisen war der Rechner nach kurzer Zeit weit verbreitet. Die Welt änderte sich plötzlich so rasch, dass Microsoft, Apple, Facebook, Amazon und Google in der Versenkung verschwanden. Im Silicon Valley glaubten sie laut einem Pressebericht aber immer noch, dass sich die Digitalisierung durchsetzen würde. Die Lit-Punks öffneten spät abends ein Himbeer-Soda und lachten laut, als sie das gelesen hatten.
Harald, 25. September 2020.