Heikos Frau Gabi war schon immer gegen Silvesterfeuerwerk. Daran konnten auch 25 Ehejahre nichts ändern. Dieses Jahr hatte sie zu allem Überdruss auch Unterstützung vom Bürgermeister, der das ganzjährige Verbot von Feuerwerk zu Silvester nicht aufheben wollte. Schließlich gäbe es nichts zu feiern. „Bei ihm sicher nicht“, dachte Heiko, aber das war eine andere Geschichte. Gabi organisierte mit Unterstützung des Bürgermeisters und des gesamten Gemeinderates stattdessen eine Lichterwanderung rund um den See mit Kerzen. Heiko konnte es nicht fassen, Kerzen, das wäre wohl das letzte zu Silvester, zu Chanukka, ja da wären Kerzen denkbar gewesen. Heikos Frau fiel ihm also hundsgemein in den Rücken. Jetzt galt es für Heiko die Tradition der Germanen, seiner Vorfahren, zu verteidigen, die sicher stolz auf ihn sein würden. Lärm und Feuer(werk) vertrieben schon damals die bösen Geister und dieses Jahr würde es wieder helfen. Er fuhr mit drei Freunden illegal über die Grenze nach Tschechien, die gesperrt war. Vollbeladen kamen sie mit Feuerwerk zurück, das zum Erwerb eigentlich eine Pyrotechniker-Ausbildung benötigt hätte. Um den Verdacht nicht sofort auf ihn zu lenken, gebar Heiko mit seinen Freunden die Idee, das Feuerwerk am See abzufeuern, genau dort wo der von seiner Frau organisierte Lichtermarsch vonstatten gehen sollte. Heiko war zufrieden und ruhte in sich. Es war der 31. Dezember und seine Frau machte sich um 23.30 Uhr auf den Weg, um pünktlich am Ausgangspunkt des Lichtermarsches zu sein. Sie machte Heiko Vorwürfe, dass er nicht mitkommen wollte. Heiko versuchte ihr nochmals die germanischen Silvesterbräuche näher zu bringen, vergeblich. Kaum war Gabi aus dem Haus, rief Heiko seine Freunde an und sie machten sich mit ein paar Flaschen Champagner und Bier auf den Weg zum See. Es wurden schon von anderen kleine Raketen abgefeuert und Böller gezündet. Als sie am See eintrafen, hörten sie von der anderen Seite bereits den Bürgermeister wettern, dass das alles illegal sei. Heiko glaubte sogar seine Frau zu hören, die dem Bürgermeister völlig recht gab. Das reichte jetzt endgültig. Um dem Lärmbrauch noch etwas mehr Würze zu geben, veränderte Heiko die Flugbahn der Raketen und Feuerwerksbatterien etwas, so dass die Teilnehmer des Lichtermarsches das schöne Feuerwerk etwas mehr als der Nähe betrachten könnten. Punkt Mitternacht zündete er mit seinen Freunden das Feuerwerk während auf der anderen Seite von den Teilnehmern des Lichtermarsches mittlerweile „Ach komm du glücklich neues Jahr doch näher…“ gesungen wurde. Die ersten Explosionen waren laut, prächtig, grün und rot, sicher 30 Meter über den Köpfen der Teilnehmer des Lichtermarsches. Diese schrien jetzt schon auf, das Lied endete abrupt. Heiko war glücklicher denn je und es sollte noch besser kommen. Die nächsten Einschläge waren mit lauten vorherigem Pfeifen direkt im Lichtermarsch zu verzeichnen, was dazu führte, dass der Lichtermarsch eine Art sternenförmige Struktur annahm. Für das, dass seine Frau die Lärmbräuche ablehnt, schrie sie jetzt aber selbst sehr laut. Die Raketen schienen die Teilnehmer weiter zu verfolgen, so als hätten die alten Germanen ihre Finger im Spiel. Violette, goldene, silberne Farben, explodierende Raketen knapp über dem Boden, Einschläge, es hätte für Heiko schöner nicht sein können. Nach fünf Minuten lagen nur mehr ein paar brennende Fackeln und Kerzen verlassen am See und der Lichtermarsch hatte sein – aus Sicht von Heiko – würdiges Ende gefunden. Zufrieden saßen die Freunde vor der Hütte am See, als Heiko seine Frau eingehängt beim Bürgermeister schimpfend nach Hause gehen sah. Dahinter waren noch verstreute Teilnehmer des Lichtermarsches. Einige junge Damen zweigten vom Weg ab und kamen zu ihnen. So ein tolles Feuerwerk hätten sie noch nie gesehen und diese Kerzenwanderung wäre ansonsten sowieso extrem langweilig gewesen. Es wurde mit Champagner angestoßen, eine blonde Jusstudentin bezeichnete Heiko gar als Teufelskerl und da war es um ihn geschehen. Alle verbrachten die Nacht in der Hütte am See und Heiko hatte den besten Jahreswechsel seit ewigen Zeiten hinter sich. Das war wohl der Dank der Germanen. Am Neujahrstag läutete seine Frau kurz vor Mittag. Es täte ihr so leid, aber der Bürgermeister wäre ihr einfach seelisch näher. Heiko willigte sofort in die Scheidung an, Gabi verzichtete auf jegliche Ansprüche. Gottseidank wachte Anna, die Jusstudentin, im ersten Stock nicht auf, das hätte die Sache sonst unnötig verkompliziert. Heiko schaute dem neuen Jahr mit noch nie da gewesener Zuversicht entgegen. Ob es für den Bürgermeister dann mehr zu feiern gäbe, wagte er aber ernsthaft zu bezweifeln.
Harald, 31. Dezember 2020.