Alles oder Nichts

Es gab eine Zeit, in der die Menschen immerzu malochten, klotzten, ackerten und schufteten und sich keine Pausen gönnten. Das Ergebnis war so lala. Niemand war wirklich zufrieden. Es hatte aber auch keiner die nötige zusätzliche Energie oder den Antrieb, um irgendetwas zu ändern. 

Jahrelang ging es so dahin, bis eines Tages ein junger Mann namens Hofwimmer im Winter in Hallein auf einem Kontrollgang ausrutschte, in die Königsseeache stürzte und unterging. 

In den eiskalten Fluten hatte er ein Erweckungserlebnis, als ihn ein dort überwinternder Hecht, der sich gestört fühlte, in die Ferse biss. Nachdem beherzte Retter den Verunglückten aus dem Wasser gezogen und in eine Decke gewickelt hatten, sagte der junge Mann folgendes: „Von nun an bin ich der Prophet Nullus. Und ich sage euch: Ab sofort wird sich alles ändern. Wir werden nicht mehr länger malochen, klotzen, schuften und uns keine Pausen gönnen. Ab sofort werden wir nichts mehr tun, absolut gar nichts! Habt ihr das verstanden?“ 

„Ja, klar“, murmelten die Leute, die den neuen Propheten aus Neugier in der Zwischenzeit umringt hatten. „Genau so machen wir’s! Dass wir da nicht von selbst draufgekommen sind! Eine tolle Idee! Wir machen nichts mehr, gar nichts!“ 

Nullus‘ Botschaft verbreitete sich rasend schnell über den ganzen Globus. Alle fanden den Vorschlag sofort gut und hielten sich daran. So kam es, dass die Menschen weltweit binnen zweier Tage gar nichts mehr machten. Sie arbeiten nicht, sie schliefen nicht, sie sprachen nicht, sie bewegten sich nicht, sie atmeten nicht, sie aßen nicht, sie tranken nicht, sie verdauten nicht, sie furzten nicht, sie kopulierten nicht, sie starben nicht, sie randalieren nicht, sie häkelten und strickten nicht, sie sangen nicht und knurrten nicht und transpirierten nicht. Sie taten nichts, absolut nichts. 

Tage gingen ins Land, Wochen, Monate, Jahre, in denen niemand auch nur irgendetwas tat. Ohne Ausnahme hielten sich alle strikt an Nullus‘ simplen Vorschlag. Ob es den Leuten währenddessen gut ging oder nicht, ist nicht überliefert, weil sie natürlich auch nicht dachten, sich etwas merkten oder sich erinnerten. 

Wie lang das Ganze wirklich gedauert hat, ist nicht mehr eruierbar. Es spielt im Grunde genommen aber keine Rolle. 

Irgendwann passierte dann allerdings Folgendes: „Ich glaube“, sagte eine junge Frau namens Cindy ganz plötzlich, „ich bin schwanger.“ 

„Stimmt“, sagte ihr Mann Bert und musterte sie genauer. „Du bist ganz schön dick geworden.“ 

„Wie kann das sein?“, rätselte Cindy. „Wir haben doch nichts gemacht.“ 

„Keine Ahnung“, sagte Bert. „Wirklich keine Ahnung.“ 

Weil sie nicht auffallen wollten, schwiegen Cindy und Bert von diesem Augenblick an wieder und taten wieder gar nichts, d.h. nicht ganz, weil Cindy immerhin ihr Kind fertig austrug und es schließlich gebar. 

Irgendwie kam das Kind, ein Knabe, durch und ernährte und beschäftigte sich selbst und wuchs heran und verspürte keine Langeweile, weil es ja nichts anderes kannte. 

Als der junge Mann sich schließlich im Alter von etwa 30 Jahren in Bad Tatzmannsdorf aufhielt, rutschte er auf einem Erkundungsgang in der Thermenlandschaft aus, stürzte kopfüber in einen Whirlpool und ging unter. 

In dem heißen Thermalwasser hatte er ein Erweckungserlebnis, weil er sich in einem Kabel verheddert hatte, an dem ein Haarfön hing, der vom Rand des Pools ins Wasser fiel und einen Kurzschluss verursachte. Der junge Mann stieg unversehrt und erleuchtet aus dem Pool und sagte zu den Thermenmitarbeitern, die sich seit Jahren in der Anlage befanden und nichts taten, folgendes: „Von nun an bin ich der Prophet Allus. Und ich sage euch: Ab sofort wird sich alles ändern. Wir werden wieder malochen, klotzen, schuften und uns keine Pausen gönnen, wie ihr es früher getan habt! Habt ihr das verstanden?“ 

„Ja, klar“, murmelten die Leute, die den neuen Propheten aus Neugier in der Zwischenzeit umringt hatten. „Genau so machen wir’s! Dass wir da nicht von selbst draufgekommen sind! Eine tolle Idee! Wir machen alles wie früher!“ 

Allus‘ Botschaft verbreitete sich rasend schnell über den ganzen Globus. Alle fanden den Vorschlag sofort gut und hielten sich daran. So kam es, dass die Menschen weltweit binnen zweier Tage wie früher immerzu malochten, klotzten, ackerten und schufteten und sich keine Pausen gönnten.  Das Ergebnis war wieder so lala. Niemand war wirklich zufrieden. Es hatte aber auch keiner die nötige zusätzliche Energie oder den Antrieb, um irgendetwas zu ändern. 

Allerdings gibt es das Gerücht, dass die beiden Propheten Nullus und Allus sich für die kommende Woche auf einen Plausch im Hardrockcafe in Helsinki verabredet hätten. Ob bei ihrem Treffen irgendetwas herauskommt, bleibt abzuwarten.

Michael, 15. Jänner 2021

3 Kommentare zu „Alles oder Nichts

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