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Dr. Oblak, mein Zahnarzt, hatte mir gegenüber ein schlechtes Gewissen. Er hatte nach der operativen Entfernung eines Backenzahns beim Kontrolltermin einen Mullbausch übersehen, der sich danach weiterhin an der Wunde befand, schließlich während des Heilungsprozesses festwuchs und einen veritablen Eiterherd hervorrief, dem ich erst Beachtung schenkte, als ich höllische Schmerzen bekam.

Oblak redete nicht um den heißen Brei herum, sondern nahm die Schuld sofort auf sich, nachdem er die Wunde noch einmal geöffnet, den Mullbausch entfernt und den von ihm verursachten Schaden beseitigt hatte.

„Da habe ich Mist gebaut, ganz klar“, räumte er ein. „Ich kann von Glück reden, wenn Sie mich nicht verklagen.“

„Ich würde Sie nie verklagen, Dr. Oblak“, beteuerte ich. „Sie sind doch unter normalen Umständen das größte Glück für meinen Mund.“

„Dennoch habe ich diesmal etwas gutzumachen“, sagte der Doktor. „Ich mache Ihnen kostenlos irgendetwas Schönes in ihren Mund. Suchen Sie sich etwas aus!“

„Wenn Sie mich so fragen, Doktor“, rief ich spontan, „dann wünsche ich mir ein paar blaue Zähne!“

„Blaue Zähne!“, erwiderte der Doktor. „Ausgezeichnete Idee! Mach ich Ihnen gleich.“

Er schlug mir vor, dass er mir meine vier Eckzähne mit einer leuchtend blauen Schicht überzog, die dann ein unwiderstehlicher Blickfang sein würden. Ich machte es mir auf dem Behandlungsstuhl richtig bequem und ließ die einigermaßen aufwändige Beschichtungs- und Färbeprozedur geduldig über mich ergehen.

„Fertig!“, rief Dr. Oblak nach zwei Stunden zufrieden. „Die Frauen werden Ihnen zu Füßen liegen!“

Er hielt mir einen kleinen Handspiegel hin. Ich konnte sein Urteil nur bestätigen: „Doktor, ich sehe umwerfend aus.“

Zufrieden machte ich mich auf den Weg ins Nachtleben, um gleich die Wirkung meiner blauen Fänge auf die Damenwelt auszuloten. Ich fiel in die bekannte Dating Bar, wo die Chancen auf neue Bekanntschaften stets besonders vielversprechend waren.

Es kam alles ganz anders als erwartet und erhofft. Als ich meine blau begrenzte Kauleiste zum ersten Mal bleckte, wurde nicht die holde Weiblichkeit auf mich aufmerksam, sondern der Geheimdienst. Mehrere Agenten zogen mich diskret aus dem Verkehr und geleiteten mich in ein Hinterzimmer, wo man mir riet, sofort den Mund aufzumachen.

Ich kam dem Ansinnen ohne Verzögerung nach und fragte die Agenten, was hier eigentlich gespielt würde.

Meine blauen Zähne seien es, rief einer mit einer dunklen Sonnenbrille. Sie hätten das Potential, um das gesamte Spionagewesen zu revolutionieren.

Ich gestand, dass ich das gar nicht glauben könne und dass ich mir vorkäme wie in einem der Märchen aus Tausendundeiner Nacht. „Klären Sie mich auf, wie Sie es meinen!“, rief ich den Herren zu.

Meine Zähne seien die perfekte Datenschnittstelle für jeden Einsatz, erklärte der mit der dunklen Sonnenbrille. In Echtzeit könnten, während ich mich in gefährlichen Missionen bewegte, Daten gesammelt und ohne Umweg direkt in den Wurzeln meiner blauen Zähne gespeichert werden. Nach Beendigung des jeweiligen Einsatzes sei es für die Techniker dann ein Leichtes, die Daten aus den Zahnwurzeln wieder herauszusaugen.

„Wir machen Ihnen ein Angebot!“, rief der Agent. „Arbeiten Sie für uns! Sie werden es nicht bereuen!“

„Ich weiß nicht recht“, sagte ich, um Zeit zu gewinnen. „Ich werde es mir überlegen.“

„Es gibt nichts mehr zu überlegen“, drängte der Agent. „Sagen Sie einfach ja!“

Ich fühlte mich bedroht. Da schnappte ich mir in meiner Panik blitzschnell eine der Nebelgranaten, die auf dem Tisch lagen. Ich zog den Sicherungsstift heraus, sprang auf, ließ den Bügel los, warf die Granate und rannte davon, so schnell ich konnte. Das Überraschungsmoment war auf meiner Seite.

Obwohl meine Verfolger allesamt bestens geschulte Agenten waren, gelang es mir, sie abzuschütteln. Ich lief einen Zickzackkurs durch die Straßen, um schließlich wieder in die Praxis von Dr. Oblak zurückzukehren, der zum Glück noch anwesend war.

„Was ist geschehen?“, fragte der Zahnarzt. „Waren die blauen Zähne kein Erfolg?“

„Im Gegenteil, Doktor!“, rief ich atemlos. „Sie waren ein viel zu großer Erfolg. Ich konnte mich vor Verehrern kaum retten. Und deshalb bitte ich Sie: Nehmen Sie die blaue Beschichtung wieder ab!“

„Ich weiß etwas Besseres!“, erwiderte Oblak. „Wir färben sie noch einmal um.“

Nach einer weiteren eineinhalbstündigen Behandlung verließ ich die Praxis meines Zahnarztes diesmal mit blutroten Eckzähnen. In der Transsilvania Bar, die ich danach aufsuchte, um mich von all der Aufregung zu erholen, lagen mir sofort die schönsten Frauen scharenweise zu Füßen, weil sie alle von mir gebissen werden wollten. Ich traf meine Wahl, tat, was ich konnte, und hatte viel Vergnü­gen.

Der Geheimdienst zeigte zum Glück überhaupt kein Interesse mehr an mir.

Michael, 19. Februar 2021

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