Unter 35, sportlich, lange brünette Haare, als Mathematikerin erfolgreich, offen und humorvoll, Anja. Der Andrang der Männerwelt folglich kaum zu bändigen, das Auswahlverfahren ermüdend. Was in Babylon seinen Ausgang nahm, über die Lehren von Pythagoras führte und angeblich sogar Galileo Galilei erfasste, sollte doch auch jetzt zur Lösung führen können: Die Numerologie. Über Bücher erkundigte sich Anja über das dabei anzuwendende Modell der Partnerwahl. Sie addierte ihr Geburtsdatum und das so erhaltene Ergebnis nochmals, bis ein einstelliges Ergebnis vorlag. Verglichen dann mit den potentiellen Partner sollte sich in der Folge klar ergeben, ob eine Liebes- oder Konfliktzahl vorliegt. Als Frau mit einer „2“ würde sie einen Mann mit „2“ oder „4“ benötigen, um beim Liebesglück nichts dem Zufall zu überlassen. Sie beschloss, jedes Wochenende unterwegs zu sein und wurde immer wieder auch von Männern angesprochen. So wie die Amerikaner spätestens bei der dritten Frage nach der beruflichen Tätigkeit und dem Einkommen fragten, so erkundigte sie sich zielstrebig nach dem Geburtsdatum. Zwanzig Sekunden später wusste sie bereits, ob daraus was werden könnte. Es war wie verhext, keiner der Männer konnte die notwendige Zahl aufweisen. Drei Wochen später verlor sie die Geduld und sie probierte es über Siner, eine eher einschlägige Partnerbörse. Viele dort gaben das Geburtsdatum an und so war die Suche schneller zu bewerkstelligen. Da ihr aber auch das zu lange dauerte, erstellte sie ein kleines Programm, das ihr diese lästige Arbeit abnahm. Kaum war es fertiggestellt und eingesetzt, hatte sie drei Namen mit potentiellen Kandidaten auf ihrer Liste. Mit dem Ersten war sie essen, eine mittlere Katastrophe, keine Manieren, bezahlen konnte sie ihr Fischmenü auch noch selbst. Der Zweite, mit dem sie ein Lokal besuchte, war nach einer Stunde so betrunken, dass er sie viermal nach ihrem Namen fragen musste, ein Reinfall. Der Dritte, Ewald, war dann der Richtige, ein Mann um die 40, nicht verheiratet, keine Kinder oder andere Altlasten, gut situiert, adrettes Aussehen. Sie zog nach drei Monaten mit ihm zusammen, was sollte auch mit einem Mann mit einer „4“ schiefgehen. Die Einrichtung der Wohnung war schon wenig harmonisch, aber die „4“ tröstete darüber hinweg. Es folgten diverse Meinungsverschiedenheiten von kleinerer Natur, wer Essen kochen oder den Müll nach unten bringen sollte. Abends meditierte sie gerne und ihre Gedanken kreisten trotzdem oft um diese „4“. Von Harmonie war wenig zu spüren und es wurde auch nicht besser. Als sie auch noch entdeckte, dass er sich bei Siner nicht abgemeldet hatte, kam es zu einer unschönen, handfesten Auseinandersetzung. Dem Mann mit der „4“ warf sie zwei Gläser nach, mehrere Teller und als er aus dem Wohnung türmte, versuchte sie ihn noch im Stiegenhaus mit seinem Laptop zu treffen, was knapp misslang. Völlig überlaunig schrieb sie einen Leserbrief an eine Zeitschrift für Astronomie, in dem sie mit vielen Argumenten nachzuweisen versuchte, warum Galileo Galilei völlig überschätzt würde. Einen Tag später sah sie das Icon für das kleine selbstgeschriebene Programm für die Traummann-Suche auf dem Computer-Desktop. Sie wusste nicht warum, aber sie öffnete nochmals den Code und sah nach kurzer Zeit, was los war. Durch einen kleinen Zahlendreher wurde irrtümlich beim Geburtsdatum das Jahrhundert nicht korrekt addiert. Sie behob den Fehler und setzte das Programm wieder auf die Suche an. In der Zwischenzeit formulierte sie ein Mail und versuchte damit den Leserbrief zu stoppen. Als sie gerade das Mail abschicken wollte, lieferte das Programm das neue Ergebnis. Es waren diesmal sieben Männer. Als sie die Namen las und der vierte Vorschlag der ihr bekannte Ewald war, löschte sie unverzüglich das Mail. Zwei Tage später war sie nach viel Recherche und nächtlichen Berechnungen sicher: „Tamensi non movetur!“ – sie bewegt sich doch nicht. Die von ihr daraufhin gegründete TMonon-Bewegung hat jetzt schon Millionen von Anhängern. Die Bewegung ist sich sicher, dass der österreichische Bundeskanzler die Welt retten wird und mit der Verschwörung der drehenden Erde endgültig aufräumt. Der österreichische Bundeskanzler fühlt sich laut Insider-Informationen geschmeichelt und erwägt einen Massentest, um zu eruieren, wer wirklich noch glaubt, dass sich die Erde dreht. Nur mit negativem Testergebnis (in diesem Fall: Die Erde dreht sich nicht) wird es in Zukunft möglich sein, dem Glücksspiel weiter zu frönen. Die ersten Staatsanwälte sind zu seinem Leidwesen mittlerweile aber hellhörig geworden…
Harald, 26. Februar 2021.