In der Blasmusikkapelle sind Elvira und ich schon seit etlichen Jahren die Waldhörner. Ich liebe Elvira. Schon einige Male habe ich ihr gestanden, dass ich mir nichts sehnlicher wünsche, als mich körperlich mit ihr zu vereinigen. Elvira will davon nichts wissen. Sie schätze mich als Waldhorn, sagt sie. Einen Liebhaber brauche sie nicht. Heute treffen wir uns wieder einmal zu einer Probe. Ich bin spät dran. Weil ich weiß, dass die Kollegen Pünktlichkeit über alles schätzen, lege ich auf dem Weg zum Übungsraum einen Zahn zu. An der Hauptstraße kommt mir Elvira entgegen, die es genauso eilig hat wie ich. Wir müssen beide über den selben Zebrastreifen. Gleichzeitig hetzen wir ohne einen Kontrollblick auf die Fahrbahn und werden frontal von einem Tankwagenzug einer bekannten Gleitmittelfabrik erfasst, der mit viel zu hoher Geschwindigkeit unterwegs ist. Wir werden wie zwei Puppen an den Straßenrand geschleudert. Ich spüre zwar, dass ich tot bin, bemerke aber zu meinem Erstaunen, dass ich wenige Augenblicke später schon wiedergeboren werde. Ich kann es mir nicht erklären. Als ich auf die Straße zurückblicke, sehe ich dort die völlig verbeulten Instrumente liegen. Neben mir im Gras entdecke ich eine Schnecke, die mir mit ihren Fühlern freundlich zuwinkt. Ich begreife, dass es Elvira ist, der genau dasselbe widerfahren ist wie mir. Weil auch ich jetzt Fühler habe und auch eine Schnecke bin, winke ich freundlich zurück. Wir kriechen gemeinsam unter ein Gebüsch. Jetzt, wo wir keine Waldhörner mehr sind, erhört Elvira mich, und sie erlaubt mir, dass ich meinen glitschigen Kriechfuß an dem ihren reibe. Es ist ganz angenehm, aber bei weitem nicht so überaus beglückend wie in meiner Vorstellung als wir noch Menschen waren.
Michael, 9. April 2021.