Eine namenlose Hochzeit

Einmal traf ich irgendwo – ich weiß nicht mehr wo – eine Frau, die mir so gut gefiel, dass ich ihr sagte, dass ich sie gleich heiraten wolle. Sie musterte mich von oben bis unten und nickte. Sie habe mich gerade geprüft, erklärte sie, und auch ich gefiele ihr so gut, dass auch sie mich gleich heiraten wolle.

Fein, sagte ich zu der Frau, doch ehe wir zur Tat schritten, müsse ich ihr noch etwas gestehen, was mir sehr unangenehm sei. Ich hätte leider meinen Namen vergessen und keine Ahnung, wer ich sei. Möglicherweise sei ich ein Italiener, aber auch das sei sehr ungewiss. Das träfe sich doch ausgezeichnet, erwiderte die Frau strahlend. Auch sie wisse nämlich nicht, wie sie heiße. Wir passten sicher hervorragend zusammen.

Wir suchten dort, wo wir waren, nach einem Standesamt und wurden binnen Minuten fündig. Dem freundlichen Standesbeamten, der uns sofort empfing, erklärten wir unser Anliegen. Der Zeitpunkt sei günstig, erwiderte er. Er habe gerade einen Termin frei. Wir könnten die Zeremonie sofort abhalten.

Weil ich ein ehrlicher Mensch bin und immer aller Fakten gern auf den Tisch lege, erwähnte ich dem Beamten gegenüber den Umstand, dass ich leider meinen Namen nicht mehr wüsste. Meine Braut schloss sich mir an und gestand, dass es bei ihr genauso sei.

Der Standesbeamte kratzte sich nachdenklich am Kinn. Das könne die Angelegenheit erschweren, sagte er. Es gäbe aber immer eine Lösung.

Meine Braut und ich sahen uns erleichtert an.

Er müsse uns übrigens gestehen, setzte der Standesbeamte hinzu, dass leider auch ihm sein Name entfallen sei. Umso wichtiger sei es nun, dass wir verlässliche Trauzeugen hätten, die unsere Eheschließung später bestätigen konnten.

Unser Entschluss sei so spontan gekommen, erklärten meine Braut und ich unisono, dass wir uns darüber noch gar keine Gedanken gemacht hätten.

Aber auch hier wusste der umtriebige Repräsentant des Staates Abhilfe. Er klappte die Flügel eines Fensters auf, steckte sich zwei Finger in den Mund und stieß einen scharfen Pfiff aus, der unten im Hof widerhallte. Etwa eine halbe Minute klopfte es an der Tür des Trauungsaals. Die beiden älteren Männer, die nach Aufforderung durch den Standesbeamten eintraten, fragten, wie sie behilflich sein könnten.

Wir bräuchten zwei besonders verlässliche Trauzeugen, sagte ich und erklärte den beiden die Geschichte mit den vergessenen Namen. Die Männer machten gleich betrübte Gesichter. Sie seien zwar besonders verlässlich, erläuterte der eine, und natürlich auch gern bereit, die Schließung unserer Ehe zu bezeugen, aber sie hätten leider auch ihre Namen vergessen. Unten im Hof hätten sie sich gerade darüber unterhalten, dass sie sogar ihre früheren Berufe nicht mehr wüssten. Sie vermuteten, dass sie ehemalige Opernsänger seien oder Fußballspieler.

Das helfe uns auch nicht weiter, seufzte ich. Es sei wohl nicht unser Tag.

So schnell wollten wir die Flinte nicht ins Korn werfen, erklärte der Standesbeamte. Das Wichtigste sei doch, dass wir für die Nachwelt nachvollziehbar festhielten, dass unsere Ehe gültig geschlossen worden sei. Er habe auch noch keinen klaren Plan, schlage aber vor, dass wir uns gemeinsam im Trauungsaal umsähen, um herauszufinden, ob es passende Hilfsmittel gäbe.

Wir schwärmten in die Ecken aus, um den Raum systematisch abzusuchen. Schon nach wenigen Augenblicken rief meine Braut, dass sie etwas Geeignetes gefunden hätte. Triumphierend hielt sie eine Super-8-Kamera in die Höhe.

Damit müsse es gehen, bestätigte der Standesbeamte. Während er die Trauung vornahm, sollten die Zeugen das Geschehen filmen. Dadurch sei alles für die Öffentlichkeit und die Behörden dokumentiert, auch wenn keiner von uns wüsste, wie wir eigentlich hießen.

Da niemand Einwände vorbrachte, nahmen wir alle sofort unsere Positionen ein. Meine Braut und ich traten vor den Standesbeamten, der den Trauzeugen ein Zeichen gab, auf welches hin sie die Kamera in Betrieb nahmen.

Der Standesbeamte verzichtete angesichts der Umstände auf eine längere Einführung und begnügte sich mit dem entscheidenden Satz, dass er uns hiermit zu Mann und Frau erklärte. Insgeheim dachte ich mir, dass irgendetwas fehlte, weil wir ja auch schon zuvor ein Mann und eine Frau gewesen waren. Um niemandem die Stimmung zu verderben, behielt ich meinen Gedanken aber für mich.

Daraus, dass meine nunmehrige Frau dann ihre Lippen spitzte, schloss ich, dass sie nun geküsst werden wollte. Ich kam diesem Ansinnen gern nach.

Danach händigten uns die Trauzeugen die Super-8-Kassette aus und beglückwünschten uns herzlich. Meine Frau und ich bedankten uns und erklärten spontan, dass wir alle, die diese Hochzeit möglich gemacht hätten, noch gern zu einem kleinen Umtrunk einladen würden. Unsere Trauzeugen und der Standesbeamte nahmen die Einladung freudig an.

Weil niemand von uns ein geeignetes Lokal kannte, begaben wir uns gemeinsam hinunter auf die Straße und hielten Ausschau nach einem passenden Etablissment. Wir wurden schnell fündig und entdeckten ein Gasthaus, das keinen richtigen Namen hatte, sondern bloß Gasthaus hieß.

Der freudliche Keller erklärte uns, dass zwei Getränke zur Auswahl stünden, Wasser und Wein. Weil wir eine Hochzeit feierten, rief meine Frau lachend, solle er uns auf jeden Fall Wein bringen.

Als der Kellner mit mehreren Flaschen Lambrusco zurückkehrte, entfuhr meiner Frau plötzlich ein Freudenschrei. Sie habe den Wein wiedererkannt, rief sie aufgeregt. Sie habe eine Zeitlang als Kellnerin gearbeitet und sie heiße Andrea. Als sie das gesagt hatte, fiel es auch mir wie Schuppen von den Augen. Auch ich erinnerte mich nun plötzlich, frohlockte ich. Ich sei tatsächlich Italiener und auch ich hieße Andrea.

Wir fielen uns glücklich in die Arme. Nachdem der Kellner die erste Flasche geöffnet hatte, stießen wir alle auf unsere Vermählung an. Der Lambrusco war so süffig, dass wir in der Folge becherten, als gäbe es kein Morgen. Auch die Trauzeugen und der Standesbeamte hielten bei dem vorzüglichen Tropfen wacker mit. Wir ließen bald weitere Flaschen kommen und zechten ausgelassen weiter.

Irgendwann entfernte sich der Standesbeamte, um einem dringenden Bedürfnis nachzugehen. Es dauerte verhältnismäßig lang, bis er wieder kam. Ich fragte ihn, wo er so lang gewesen sei. Wir hätten uns schon Sorgen gemacht.

Dazu bestünde kein Anlass, erklärte er freudestrahlend. Er habe sich zwar im Waschraum an den Fliesen den Kopf angestoßen und sei eine Zeitlang ohnmächtig gewesen. Aber jetzt wisse er auch wieder, wer er sei. Auch er heiße Andrea und auch er sei gebürtiger Italiener.

Über diesen schönen Zufall waren wir so erfreut, dass wir ihn als ein gutes Omen für unsere Ehe werteten und weiteren Lambrusco orderten. Die Zeit schritt rasend schnell voran. Als es draußen allmählich dunkel wurde, beugte sich meine Frau zu mir herüber und flüsterte mir etwas ins Ohr.

Einer der Trauzeugen fragte, was es denn zu tuscheln gäbe.

Es gäbe gar nichts zu tuscheln, erwiderte ich. Meine Frau habe mir aber gerade eröffnet, dass sie allmählich damit liebäugle, unsere junge Ehe zu vollziehen. Wir würden uns deshalb gern zurückziehen.

Das verstehe er gut, sagte der Standesbeamte. Der Vollzug sei schließlich das Salz in der Suppe jeder Ehe.

Wie leerten die letzte Flasche. Dann ließ ich die Rechnung kommen. Der Abschied fiel sehr herzlich aus und war einzig leicht durch den Umstand getrübt, dass unsere beiden Trauzeugen immer noch nicht wussten, wie sie hießen. Nachdem wir noch unsere Telefonnummern ausgetauscht hatten, löste sich die kleine Runde auf.

Meine Frau und ich suchten draußen auf der Straße nach einem Beherbergungsbetrieb, der uns aufnehmen konnte. Schon nach kurzer Zeit wurden wir fündig und entdeckten ein Hotel, das keinen richtigen Namen hatte, sondern bloß Hotel hieß. Die Rezeptionistin erklärte uns, dass leider nur noch ein einziges Einzelzimmer frei sei.

Das mache überhaupt nichts aus, rief meine Frau. Wir hätten nämlich eine frisch geschlossene Ehe zu vollziehen und dafür sei ein Einzelzimmer ideal.

Wir nahmen das Zimmer und stürzten uns voller Vorfreude in unsere Hochzeitsnacht. Donnerwetter, sagte meine Frau, nachdem wir zum ersten Mal gemeinsame Wonnen genossen hatten, ich verstünde es aber wirklich, die Ehe zu vollziehen. Ihre geschätzte Mithilfe, gab ich das Kompliment zurück, hätte aber einen entscheidenden Beitrag zum Gelingen geleistet.

Wir waren uns in unserem Lob so einig, dass wir noch ein paar weitere Vollzüge folgen ließen. Schließlich waren wir so erschöpft, dass wir in dem Einzelbett hochzufrieden einschliefen.

Irgendwann mitten in der Nacht fuhr ich aus dem Schlaf hoch, als mein Telefon läutete. Ich nahm das Gespräch an. Es war einer der Trauzeugen. Er wolle uns bloß mitteilen, sagte er freudig, dass auch ihnen nun endlich alles wieder eingefallen sei. Sie seien übrigens keine ehemaligen Opernsänger, sondern ehemalige Fußballspieler und hießen Krankl und Prohaska.

Michael, 25. Juni 2021

2 Kommentare zu „Eine namenlose Hochzeit

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