Gewitter über Maria Bühel

Es blitzte und donnerte in dieser Nacht, der Regen prasselte heftig auf den ausgetrockneten Boden. Norbert war ohne Regenbekleidung unterwegs und nun auf dem Weg zur Kirche, um Schutz vor dem Unwetter zu suchen. Die Kirche war versperrt, aber im angrenzenden Pfarrhof hatte er Glück. Er klopfte und ihm wurde geöffnet. Lucy stand mit nassem, tropfenden Haar vor ihm und bat ihn herein. Ihre Kleidung hatte sie zum Trocknen über die Heizkörper gehängt und sie trug nur mehr ihre rote Unterwäsche. Norbert fand ebenfalls einen freien Heizkörper und folgte dem Beispiel. Da die Unterwäsche aber ebenfalls durchnässt war, beschloss Lucy, diese ebenfalls zum Trocknen aufzuhängen. Norbert war zuerst unsicher, tat es nach kurzer Zeit aber Lucy gleich. Als sie sich in die Augen sahen, draußen war die Lage noch nicht besser, spürten sie ein Verlangen, unbändig, wild wie das Wetter. Sie ließen ihrer Natur freien Lauf und nach einer halben Stunde war auch das Gewitter vorübergezogen. Die Kleidung trocknete und noch bevor die Sonne aufging, machten sie sich wieder auf den Weg, diesmal gemeinsam. Lucy gebar neun Monate später eine wunderhübsche Tochter, die sie auf den Namen Akshita taufte. Es dauerte nicht lange, als erste Gerüchte über Lucy und ihre Tochter auftauchten. Es wäre nicht mit rechten Dingen zugegangen, Lucy könnte doch gar keine Kinder bekommen. Außerdem hätte Akshita bei der Taufe höhnisch gegrinst wie kein Kind zuvor. Im Kindergarten wurde Akshita ausgestoßen, in der Volksschule als Sonderling abgetan, ihr von der Klassenlehrerin samt Direktorin sogar ein besonders böses Naturell attestiert. Akshita wäre fast an all dem zerbrochen, wären nicht ihre Eltern gewesen. In der Hauptschule im selben Ort wurde es sogar noch schlimmer. Das Mobbing vor allem der Klassenkolleginnen kaum auszuhalten. In einer berufsbildenden Schule 35 km entfernt von ihrem Heimatort spürte sie das erste Mal eine gewisse Ruhe. Sie war weiterhin die Außenseiterin, aber irgendwie auch cool. Auf der Uni zeigte sie es dann allen. In fünf Semester der erste Studienabschluss, zwei Semester später der Doktortitel. Im Heimatort wurde sie weiterhin gemieden und die bösen Gerüchte fanden erst recht kein Ende, als ein heftiges Unwetter den Ort getroffen hatte. Der Vater fühlte sich an die längst überwundene Zeit der Hexenverfolgung erinnert und wollte sich nun ein für allemal dem Problem endgültig annehmen. Bereits kurze Zeit später kam es zu einer heftigen Detonation in der Volksschule und der angrenzenden Hauptschule, die fast alles zerstörte. Einige berichteten, dass es aus den Trümmern nächtens immer wieder rot leuchten würde. Eine Woche später wurde die Bevölkerung wieder aus dem Schlaf gerissen. Diesmal betraf es einzelne Häuser, in denen ausschließlich Akshitas inzwischen gut situierten ehemaligen Klassenkolleginnen wohnten. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. Über Akshita wurde nicht mehr offen gesprochen, einige kamen sogar zu ihr und entschuldigten sich, wenn auch vermutlich nur aus purer Angst. Akshita wusste nun, dass ihre Eltern für sie alles machen würden, einfach alles. Zwei Monate später wurde Akshita Mutter einer Tochter, die mittlerweile in eine Schule in der Nähe geht. Der Name ist nicht bekannt, aber Akshita hat sich geschworen, wer ihrer Tochter böses will, wird eine Antwort erhalten, die nicht mehr so glimpflich mit ein paar kleinen Explosionen enden wird. Dass diese Geschichte wahr ist, kann jedes Jahr Anfang August auf Maria Bühel beobachtet werden, wenn der ganze Pfarrhof nächtens rot leuchtet und Akshita sich wieder selbst versichert, dass die Liebe zu ihrer Tochter grenzenlos ist.

Harald, 30. Juli 2021.

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