Blindes Vertrauen

Björn war laut seiner Auffassung mit Katja seit zwei Jahrzehnten glücklich verheiratet. Katja war ja auch glücklich, Björn brachte das Geld nach Hause und Ben die Liebe. Björn arbeitete unter der Woche immer bis in die Nachtstunden und Ben wohnte praktischerweise nicht weit weg. Seit sieben Jahren verband Katja daher – so wie sie es nannte – das Praktische mit dem Nützlichen und besuchte Ben meist zweimal pro Woche während sie am Wochenende mit Björn shoppen ging bzw. auf Zulundi sexy Unterwäsche bestellte, die Björn nie zu Gesicht bekam. Für Katja war es somit das Beste aus zwei Welten. Das wäre auch noch für eine Ewigkeit so geblieben, hätte nicht Björn eines Tages, an dem er früher nach Hause kam, bei Katjas Mobiltelefon abgehoben und Ben sich gemeldet. Was Ben denn wollte, fragte ihn Björn. Ben stotterte zuerst und fragte dann, ob Katja denn ans Telefon kommen könnte, er wäre ihr Psychotherapeut und müsste leider einen neuen Termin vereinbaren. Björn kam das alles logisch vor, schließlich fand er auch, dass Katja diesbezüglich etwas Unterstützung benötigte, da ihre Shopping-Touren mittlerweile auch seine finanziellen Möglichkeiten fast sprengten. Björn stellte Katja zur Rede und meinte, dass sie das mit Ben ihm schon lange erzählen hätte können. Katja war zuerst völlig außer sich, bis sich im Laufe des Gesprächs herausstellte, dass Björn Ben tatsächlich für ihren Psychotherapeuten hielt. Björn bestand darauf, dass sie ihn aber sofort nicht mehr zweimal pro Woche, sondern zumindest dreimal aufsuchen sollte. Selbstverständlich würde er diese Mehrkosten übernehmen. Katja fand das gar nicht schlecht, schließlich hatte sie nun den offiziellen Auftrag mit Ben dreimal die Woche ihre Zeit zu verbringen und wurde dafür auch noch von Björn bezahlt. Sie fühlte sich dadurch tatsächlich etwas ausgeglichener und ihre Ausgaben sanken zur Freude von Björn ebenfalls, aber nicht zu stark, um die Therapie nicht abbrechen zu müssen. Björn arbeitete in den letzten Monaten noch mehr, schließlich hatte ihm seine Vorgesetzte versprochen, dass er bei ihrem Pensionsantritt ihr jedenfalls nachfolgen würde. Als diese Führungsposition kurze Zeit später extern besetzt wurde, hatte Björn kurz Zweifel, ob denn sein blindes Vertrauen gerechtfertigt sein würde. Katja konnte ihn aber schnell beruhigen und davon überzeugen, dass es sich hier nur um eine völlige Ausnahme gehandelt hätte, und so glaubt Björn aktuell tatsächlich, dass ihn seine Frau liebt, die Volkspartei nur ihre Farbe geändert hat und das Wirtschaftswachstum wirklich sinnvoll ist.

Harald, 20. August 2021

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