Als Pubertierender fand er es normal, dass Frauen sich immer dann die Haare wuschen, wenn er sie am Abend noch treffen wollte. „Ich habe leider keine Zeit, ich muss mir die die Haare waschen“, hatte er gehört beim ersten Heiratsantrag, was später zu einem Nein führte. Das wiederholte sich mit der Arbeitskollegin, mit der er am Wochenende ins Kino gehen wollte, mit der Friseurin, die er auf einen Café einlud. Bei der Friseurin konnte er es berufsbedingt vielleicht sogar noch verstehen, dass sie sich vielleicht öfter als andere die Haare wusch. Aber selbst eine Waldwochenveranstalterin hatte aus dem gleichen Grund keine Zeit für eine Essenseinladung. Die Psychologin, die er um Rat fragte, konnte ihm nicht wirklich weiterhelfen, zumindest verstand er ihre Ratschläge nicht. Selbst bei einer Online-Partnerbörse konnte die vorgeschlagene Partnerin nicht, ja, sie wusch sich kurz vor dem Treffen die Haare. Er versuchte es bei ihr nochmals, entweder sie wusch sich in wenigen Minuten die Haare oder sie trockneten und das konnte dauern. So scheiterte auch dieser Versuch kläglich. Aufgrund mangels anderer Alternativen arbeitete er mehr, baute sich nebenbei ein Unternehmen auf, das nach einiger Zeit beachtliche Ergebniszahlen aufwies. Als Millionär wuschen die Frauen plötzlich weniger ihre Haare. Fast alle haarewaschenden Frauen hatten sich bei ihm schon gemeldet. Er musste leider immer ablehnen, da er sich gerade die Haare wusch. Als die Waldwochenveranstalterin darauf hinwies, dass seine Haarpracht laut Internet schon lange verschwunden wäre, wies er nicht unwahrheitsgemäß darauf hin, dass im Alter Haare an Stellen wuchsen, die sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen konnte und auch diese entsprechend gepflegt werden wollten. Damit hatte er auch diese endgültig los. Er verkaufte das Unternehmen nach einiger Zeit und widmete sich einem neuen Studium „Haarbiologie, Haarpflege und Haarschneiden“. Er lernte bei einer der ersten Vorlesungen eine Studentin kennen, wohlriechendes Haar, aber vermutlich seit Ewigkeiten nicht mehr gewaschen bzw. geschnitten. Bei einem Espresso bestätigte sich dieser Verdacht und er wusste, dass er wohl endlich seine Traumfrau gefunden hatte. Der Altersunterschied von 27 Jahren schien nicht zu stören und sie heirateten kurze Zeit später. Das Hochzeitsfest war pompös und die letzten Gäste verließen am frühen Morgen das Fest. Er fieberte der Hochzeitsnacht, die eher ein Hochzeitsmorgen war, aufgeregt entgegen. Im Hotelzimmer angekommen entledigte er sich zum ersten Mal vor ihr all seiner Kleider und stand nackt vor ihr. Sie musterte ihn von oben bis unten. An seinem Geschlechtsteil blieb sie bzw. „er“ hängen und sie meinte dann doch, dass sich jetzt mal die Haare waschen würde. Im Adamskostüm rannte er schreiend in die Hotelbar und bestellte vier Whiskey hintereinander. Ein übrig gebliebener weiblicher Hochzeitsgast namens Caroline fand den Bräutigam nackt sehr aufregend und er verbrachte doch noch seine Hochzeitsnacht gebührend, wenn auch nicht mit der Braut. Dass Caroline sich gegen Mittag die Haare föhnte, störte ihn nun nicht weiter. Die Scheidung zwei Wochen später kostete ihn 56,5 Millionen Euro, was ihm angesichts der Tatsache, dass er anscheinend durch Caroline vom Haarwaschfluch befreit war, jeden Cent wert war.
Harald, 10. September 2021.