Peter, ein pensionierter Tenor, ging gedankenverloren die Montaigne-Allee hinunter, als ihn ein junger Schauspieler ansprach. „Ihre Stimme fehlt wirklich“, meinte er ehrlich wirkend. „Sie verwechseln mich“, knurrte Peter zurück. Keine fünf Minuten später wollten zwei Touristinnen ein Autogramm und er schnaubte, dass er nicht Tom Cruise wäre, wobei die Verwechslungsgefahr sich eigentlich in engen Grenzen hielt. Als er bei seinem geliebten café lait von der Kellnerin gebeten wurde, eine Stelle aus Carmen zum Besten zu geben, reichte es ihm endgültig. Ohne sie eines Blickes zu würdigen, bezahlte er und schüttete sich dabei auch noch den Kaffee über die helle Hose. „Oh, das ist ja der weltbeste Tenor Peter..“, hörte er eine Pensionistin rufen. Er zog seine Hose aus, drückte sie der verdutzten Dame in die Hand und ging erhobenen Hauptes weiter. Dass er dabei in eine große Wasserpfütze trat, war jetzt auch schon egal. So konnte er die Schuhe sowie die Socken einzeln verschiedenen Personen in die Hand drücken, nur um nicht aufgehalten zu werden. Nach kurzer Zeit drehte er sich um, da er schon wieder hörte: „Das ist doch…“. „Ja, er ist es“, dachte er sich gerade, als er plötzlich mit einem Kind, das eine Eistüte in der Hand hielt, zusammenstieß. Das hellblaue T-Shirt lies er gleich bei der Mutter, die ihn ebenfalls erkannte. Mit nur noch dunkelblauer Unterhose bekleidet orderte er selbstbewusst bei einem kleinen Stand Bananen mit Honig. Die Verkäuferin brauchte keine halbe Minute, um zu fragen: „Sie sind doch der weltberühmte Tenor?“ Peter schluckte die letzten Bananen hinunter, der Honig tropfte ihm vom Mund und das Einzige, was ihn nun aufheiterte, dass er gleich sein Ziel erreicht hatte. Er klingelte und seine Freundin, eine 23-jährige Musikstudentin öffnete ihm. „Wie siehst du denn aus?“, stoß sie erstaunt hervor, „außerdem sind wir erst für morgen verabredet, heute ist mein Nachhilfelehrer hier“. Er sah einen jungen Mann mit nacktem Oberkörper im Flur stehen der rief: „Caroline, kommst du wieder, sonst bin ich nicht mehr in Stimmung“. Peter hatte genug gesehen bzw. gehört, wünschte ihr noch viel Freude und konnte ihr nicht versichern, ob er morgen kommen würde. Beim Hauseingang entdeckten ihn diesmal keine Menschen, sondern einige Bienen, die seinen Honig um den Mund ziemlich anziehend fanden. Er zog seine Unterhose aus, jetzt war es auch schon egal, schwang diese gekonnte in Kopfhöhe und sang dazu eine Stelle aus Don Giovanni. Als er zuhause ankam, war er beruhigt, dass seine Frau nicht zu Hause war, um seinen Aufzug nicht näher erläutern zu müssen. Als sie ihn am nächsten Tag mit der Titelgeschichte der Tageszeitung samt seinem Foto – es war Gottseidank seine Rückseite – konfrontierte, meinte er, dass er nicht wirklich darüber reden möchte. Sie verstand und riet ihm, er sollte nicht überall seinen Senf dazu geben, das käme vermutlich davon. „Nein“, erwiderte er, „alle anderen sollten ihm nur nicht dauernd Honig ums Maul schmieren.“ Vergnügt machte er sich wenig später trotzdem auf den Weg zu Caroline, Kappe tief ihm Gesicht, Sonnenbrille auf und trällerte eine leicht abgeänderte Bauernregel: „Wenn im Juni die Bienen schwärmen, kann der Peter vor Freude lärmen“. Caroline küsste ihn bereits am Eingang und wunderte sich über seine Beschwingtheit. Er lächelte und meinte nur angelehnt an ein weiteres Zitat: „Schwebe wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene.“ Als er zwei Stunden später wieder durch Paris flanierte, freute er sich nun doch über seine Bekanntheit und gab bereitwillig Autogramme. „Sie sind doch der berühmte Flitzer Peter…“ empfand er nämlich für sein Image deutlich zuträglicher, vorwärtsgewandt, nicht was einmal war.
Harald, 3. Juni 2022.