Eine kristallklare Nacht

Es war eine kristallklare Nacht. Norbert, ein sehr erfolgreicher Unternehmer, checkte in einem kleinen, durchaus eleganten Hotel in der Nähe von Wien ein. Er übernahm einen altmodischen Schlüssel zum Öffnen des Zimmers 12. Als er das nicht verschlossene Zimmer betrat, sah er überrascht auf das Bett. Es war mit Rosenblättern bedeckt, auf dem Regal befanden sich einige brennende Teelichter und am kleinen Tisch stand eine Flasche Sekt. Norbert war beeindruckt, bis auf den durchschnittlichen Sekt schien das Hotel wirklich etwas zu bieten. Dieser musste ausgetauscht werden, außerdem fehlte für das hier vorgefundene Ambiente zweifelsohne die passende Begleitung. Also machte er sich kurz frisch, ging nach unten zur Bar und orderte eine Magnum Flasche Moet & Chandon. Diese konnte beim Öffnen bereits die Aufmerksamkeit einer groß gewachsenen in den Dreißigern liegenden Frau gewinnen. Norbert lud sie auf ein Gläschen ein und erkundigte sich sofort, ob sie rote Rosen mochte. Svava kam aus Norwegen und hatte geschäftlich in Wien zu tun. Beide genossen die Unterhaltung und Svava war nach dem vierten Gläschen sichtlich nicht abgeneigt, Norbert auf sein Zimmer zu begleiten, von dem er so schwärmte. Es war nicht nur das Ambiente, dass diese Nacht ganz besonders machte. Sie tranken am Zimmer noch etwas Champagner, unterhielten sich und schließlich landeten sie in einem Meer von Rosenblättern. Norbert wachte alleine auf, die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Er packte und ging hinunter zur Rezeption. Dort beschwerte sich gerade ein Pärchen, dass leider das Arrangement nicht funktioniert hätte. Norbert fragte kurz nach, ob dieses auch Rosenblätter umfasst hätte. Sie nickten und nach kurzer Zeit stellte sich heraus, dass die beiden Zimmer 12 und 12A vertauscht wurden. „Und des olles wegen dem bleden Oberglaubn, 13 derf ma ned nehma…“, murrte der Rezeptionist, der seine Wiener Herkunft kaum verbergen konnte. „Unser Lehrling werd vom Wochenende her mal wieder angsoffen wie a Häusltschick gwesen sein  und hot mit seiner Restfettn olles verwechselt, der kleine Wappler“, versuchte er den Irrtum weiter zu erklären.  „Brauchts eich a ned länger aufpudeln, kriegst eh a Gutschrift“, beruhigte er das Pärchen. Diese verstanden zwar kein Wort, waren aber am Ende mit dem zu bezahlenden Betrag durchaus zufrieden. Als Norbert die Rechnung beglichen hatte, meinte der Rezeptionist noch: „Ah jo, von da Topfennegerin soll i da des geben.“ „Hab eich eh schnackseln ghört“, grinste er Norbert noch an und übergab ihm einen Zettel mit einer Adresse in Norwegen. Norbert bedankte sich mit einem wohlgemeinten Tipp: „Wenn’s Di weita so abstrudelst, wirst bold a Bankerl reißen“.  Drei Wochen später war Norbert in Norwegen an der besagten Adresse. Svava öffnete die Tür, war nicht einmal erstaunt und eine wundervolle Beziehung nahm ihren Anfang. Es war wieder eine kristallklare Nacht.

Harald, 17. Februar 2023.

3 Kommentare zu „Eine kristallklare Nacht

  1. Herrlich, auch der Wiener Dialekt. Unnachahmlich.
    Wir wohnten neulich in Thailand im Stockwerk 14 eines Hochhauses 🙈. 13 gab es im Aufzug gar nicht, was uns zu Spekulationen anregte. Stand der 13. Stock komplett leer? Hatten Sie ihn beim Bauen einfach gleich weggelassen? Aberglaube ist schon ziemlich eigenartig.

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    1. Hallo, herzlichen Dank für deine Überlegungen. Das regt wirklich zu wilden Spekulationen an. Arbeitet dort ein ehemaliger Politiker an seinem Comeback? Befinden sich dort die Ex-Geliebten von einem österreichischen Sportler? Trifft sich in Thailand die Elite im 13. Stock zum „great reset“? Nicht nicht nur Aberglaube ist ziemlich eigenartig… Liebe Grüße!

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