Wie es kam, dass Herr Emm ein prickelndes Erlebnis hatte

Zu einer Zeit, als Herr Emm einem kleinen Zuverdienst nicht abgeneigt war, durchforstete er die Kleinanzeigen nach Gelegenheitsjobs, die mehr als nur Geldbringer waren. Da stach ihm folgende Annonce ins Auge:

Aushilfskellner für Opernball gesucht.

Beste Umgangsformen und gepflegtes Äußeres Voraussetzung, Fremdsprachenkenntnisse erwünscht.

Bedienung nur in den Logen. Beste Bezahlung.

Bewerbung mit Lichtbild unter Chiffre 47110815 an den Verlag.

Das wär‘ doch mal was, dachte Herr Emm und beschloss ein paar Euro (oder waren es noch Schilling?) in einen Haarschnitt, Passfotos und ein frankiertes Kuvert zu investieren.

Eine gute Woche nachdem er seine Bewerbung abgeschickt hatte, klingelte sein Telefon und er wurde zum Tablett-Casting nach Wien eingeladen. „Fahrtkosten werden natürlich ersetzt. Amtliches Kilometergeld oder Zug 2. Klasse gegen Vorlage der Karte.“ Herr Emm rieb sich die Hände und nahm noch Unterricht bei einem befreundeten Kellner, der ob eines kleinen Problems mit dem Konsum berauschender Substanzen zeitweise keiner geregelten Arbeit nachgehen konnte und für das Versprechen rauchbarer alternativer Agrarprodukte sein Fachwissen gerne zur Verfügung stellte.

So konnte Herr Emm beim Casting überzeugen und wurde für eine Nacht Logen-Hilfskellner am Opernball.

Am Mittwoch vor dem Faschingsdienstag war Herr Emm bereits in der Stadt um die Uniform entgegennehmen und eventuell noch in der Kostümschneiderei der Oper anpassen lassen zu können. In Ihren Uniformen sahen die Hilfskellner wie Lakaien zu Zeiten Maria Theresias aus. „Unsere internationalen Gäste lieben und erwarten das. Wir können Sie ja schlecht in einen Frack stecken, dann hält man Sie noch für Ballbesucher, ha, ha, ha“ Herr Emms Einwand von wegen „keine weiße Fliege“ wurde weggewischt. „Sie glauben doch nicht, dass sich ein besoffener Ami um halb zwei noch um Ihr Mascherl kümmert, oder? Nein, da müssen wir vorsichtig sein. Börsengeheimnisse und so, Sie wissen…, besser man erkennt sie auf den ersten Blick.“ Herr Emm dachte an den Scheck und war mit der Uniform zufrieden. „Morgen 13:45 Treffpunkt Künstlereingang, 14:30 umgezogen mit gepuderter Perücke im Foyer zur Diensteinteilung, da bekommen Sie Ihre Logen zugeteilt.“

Herr Emm war natürlich pünktlich. Herr Emm wurde zusammen mit seinem Oberkellner der Loge 40 zugeteilt. „Oh je, der Baumeister“ seufzte Herr Franz. „Der mit der eigenen Stadt?“ frug Herr Emm. „Jo, der. Da kannst wieder ned g‘scheit servier’n weil dir immer ein Kameramann oda da Haider im Weg ist.“ „Welcher?“ „Der Alfons, eh klar.“ „Wen hat er heuer da, der Baumeister?“ wollte Herr Emm wissen.  „So a deitsche Stripperin, Gitte von Tesa, oder so. Die hat gestern in der Baumeistercity an Strip hing’legt und in einer riesigen Schampanja-Schale gebadet, … hab‘ ich mir sagen lassen, ich geh zu was ja nicht hin.“

Herr Emm machte seine Sache als Getränketräger ganz hervorragend. Selbst der kritische Herr Franz merkte an „ein Naturtalent, mach nur weiter so dann kannst in 5 bis 10 Jahr in der Mittelloge bei unserem HBP hilfskellnern“ Herr Emm war ein bisschen Stolz aber hatte andere Karrierepläne, die er Herrn Franz aber nicht näher ausführte.

Im Verlaufe der Ballnacht verspürte Herr Emm eine gewisse Spannung in der baumeisterlichen Loge aufkommen, als ihn der Zement selbst zur Seite nahm: 

„Da schaun’s her, junger Mann, ham’s a Kleingkeit und jetzt nehmens des Tablett, holen an der Bar a Flaschl Schampus, aber vom Teuren, und bringens des der Frau von Tesa nach, auf die Damentoilette. Die steht unter Schock und a bissl Pricklwasser wird ihr guttun. Flott jetzt, dann gibt’s noch an 500er“

Herr Emm war von der Generosität des Baumeisters sehr angetan und bestellte an der Bar eine Flasche vom teuersten Champagner (bonierst as auf die Baumeisterloge) nahm das Tablett samt einer Sektflöte aus dem Hause Riegel (Champagnerschalen sind für Banausen) und schritt nach der Damentoilette. Auf dem Weg dorthin hörte er noch den Tiroler Schauspielkönig über den Namen des Ehrengastes vor laufender Kamera witzeln (irgendwas mit Tixo).  Vor der Toilette stauten sich die Menschen, aber mit einem „Entschuldigung, darf ich durch?“ war das Vorankommen kein Problem, Opernballbesucher haben Respekt vor Champagnerdurst.

Herr Emm betrat zum ersten Mal in seinem Leben eine Damentoilette, Frau von Tesa saß wie ein Häufchen Elend vor einem der Schminkspiegel und versuchte ihr verronnenes Make-Up wieder herzustellen. 

„Wer sind Sie und was machen Sie hier?“ brachte sie heraus, bevor sie wieder in Tränen ausbrach.

„Hilfskellner Emm mit Medizin für alle Notfälle, mit besten Grüßen vom Baumeister.“

Frau von Tesa erkannte die Marke und meinte „Knausrig ist er jedenfalls nicht, aufmachen, einschenken, danke!“ Und schon flossen die Tränen wieder aber ein wenig langsamer als zuvor.

Das leise Ploppen des Champagnerkorkens ließ sie den Kopf drehen und als das plätschernde Geräusch des edlen Saftes erklang löste es den Tränenfluss ab. Der erste Schluck brachte die Lebensgeister zurück und Frau von Tesa atmete tief durch „Genau was ich gebraucht habe!“ Herr Emm unterhielt sich noch ein Weilchen mit ihr, was man halt so plaudert mit Burlesktänzerinnen, bis Gitte wieder in Ballstimmung war. „Wie komme ich jetzt aus der ganzen Sache wieder raus, mein lieber Hilfskellner Emm?“

Herr Emm dachte kurz nach und sagtes es ihr. Als er die Toilettentür öffnete, um ihr den Vortritt zu lassen, flüsterte er ihr zu „Jetzt!“

„Was erlauben Sie sich? Eine Frechheit!“ rief Frau von Tesa scheinbar aufgebracht, als sie Herrn Emm den Inhalt ihres Champagnerglases mit Schwung ins Gesicht schüttete und sich offensichtlich empört murmelnd durch die sich teilende Menge auf den Weg zur Baumeisterloge machte.

So kam es, dass Herr Emm einmal ein wahrhaft prickelndes Erlebnis hatte.

Orte, Namen und Handlung sind frei erfunden, jede Ähnlichkeit mit wahren Begebenheiten ist zufällig und unbeabsichtigt 😉

© Martin Siegel, 01.03.2023

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