Die Hausherrin hatte alles minutiös geplant. Wie immer am ersten Donnerstag im Monat sollten die eingeladenen Gäste die besten Delikatessen und Getränke in der großzügigen, lichtdurchfluteten Villa genießen. Unter ihnen befanden sich bekannte Politiker verschiedener Couleur, Künstler, Wirtschaftsbosse und Herausgeber bekannter Zeitungen. Zum ersten Mal eingeladen war eine erst vor kurzem zu etwas Ruhm gelangte Klimaaktivistin. Die Gespräche mit Tiefgang und ohne Vorurteile profitierten von verschiedensten Meinungen, so die Gastgeberin. Zum Aperitif gab es einen jungen Champagner blanc de blancs. Die Austern wurden mit einem Champagner „brut zéro dosage“ begleitet. Die Gastgeberin beobachtet die Klimaaktivisitin genauer, hatte sie doch noch etwas Angst, sie würde sich auf dem neuen, sündhaft teuren Terrazzoboden festkleben. Bisher war sie durchaus unauffällig, wenn sie auch beim ersten Gang noch beide Champagnergläser gefüllt hatte. Beim Hauptgang, ein herrliches Hirschfilet, nippte sie wieder nur kurz an der Champagner-Cuvée aus verschiedenen Chardonnay. Die Gastgeberin entdeckte etwas Abschätziges, ihrer Meinung zeichnete sie doch ein eher einfaches Gemüt aus. Zur Nachspeise gab es einen jungen Champagner rosé mit einem Mousse aus weißer Schokolade. Auch hier nippte die Klimaaktivistin kaum. „Champagner ist nicht jedermanns Sache“, philosophierte die Gastgeberin mit einem eindeutigen Blick auf die Klimaaktivistin. „In ihren Kreisen wird wohl nur Leitungswasser getrunken“, stellte sie süffisant fest. Die Klimaaktivistin nickte. Im Laufe des Abends unterhielt sich die Klimaaktivistin auffallend oft mit dem Hausherrn, wobei die Gastgeberin hier kein Problem sah. Ihr Mann war als Gourmet der Oberklasse bekannt und würde sich nie – so ihr Wortlaut – mit einer Öko-Schnepfe einlassen, die Wasser statt Champagner bevorzugen zu schien. Um zwei Uhr verabschiedeten sich die Gäste, die Klimaaktivistin flüsterte ihrem Mann noch etwas in Ohr, küsste ihn auf beide Wangen und verabschiedete mit einem großen Dankeschön bei der Gastgeberin. „Da haben Sie zumindest mal etwas über gutes Essen und passende Getränkebegleitung gelernt“, führte sie bei der Gelegenheit aus. „Da haben sie vollkommen Recht“, antwortete die Klimaaktivistin laut. Leise fügte sie hinzu: „Zumindest was das Essen betrifft. Beim Champagner ist noch sehr viel Luft nach oben. Blanc des blanc gehört zu den Austern, während der brut zéro dosage perfekt als Aperitif geeignet ist. Ich konnte den Tausch selbst durchführen. Zum Wild kann aber nur ein blanc de noirs serviert werden, alles andere ist unpassend. Der Champagner zur Nachspeise hätte gepasst, nur die Nachspeise wäre in diesem Fall mit Orangen zu versehen gewesen.“ Die Gastgeberin schaute nur kurz irritiert und funkelte sofort danach ihren Mann zornig an. Dieser verbrachte die Nacht im Gästezimmer, was ihn aber nicht weiter störte, wollte er doch seinen Lebenswandel in Zukunft mehr auf Nachhaltigkeit ausrichten.
Harald, 3. März 2023.