Als Hutschenreuther einmal zu viel Tagesfreizeit hatte, inspizierte er zum ersten Mal in seinem Leben seinen Nabel. Er hielt ein Vergrößerungsglas über die Stelle auf seiner Bauchmitte und sah sich alles ganz genau an. Hutschenreuther entdeckte allerlei Unebenheiten, die ihm von ihrer Form her bald irgendwie vertraut vorkamen. Er kam allerdings nicht sofort darauf, was sie darstellten. Mehrmals fuhr er die Linien auf seinem Nabel mit wachem Blick nach, holte am Ende ein dickes Buch aus dem Regal, um etwas darin nachzuschlagen, und stieß schließlich einen Freudenschrei aus, der seine greise Mutter, die im selben Haushalt wohnte, dazu veranlasste, neugierig ihren Kopf ins Zimmer zu stecken, und nachzufragen, was es denn so Erfreuliches gäbe. Er habe eine erstaunliche Entdeckung gemacht, erwiderte Hutschenreuther, die sie getrost mit einem Gläschen Champagner feiern konnten. Er drängte die Mutter vehement, eine Flasche des edlen Getränks zu besorgen und zu öffnen, bis sie endlich nachgab und das Gewünschte herbeischaffte. Ehe sie anstießen, sagte Hutschenreuther zu seiner Mutter, wolle er ihr noch seine Entdeckung erläutern. Sie solle sich doch mit der Lupe seinen Nabel ansehen, auf dem ganz deutlich der amerikanische Doppelkontinent und auch Afrika und Europa zu erkennen seien, mit einem Wort: Sein Nabel sei der Nabel der Welt. Während sie ihm sanft mit der Hand über den Hinterkopf strich, erwiderte die Mutter, dass sie das immer schon gewusst hätte. Darauf stießen sie freudig an.
Michael, 10. März 2023
Ist doch schön, wenn man sich an Kleinigkeiten erfreuen kann 😅
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